Wien – Der Nobelpreis für Literatur ist für Daniel Mantovani (Oscar Martinez) kein Grund zur Freude. Die Dankesrede bei der ehrwürdigen Preisverleihung in Stockholm nutzt der frisch Gewürdigte in Ein ehrenwerter Bürger (El ciudadano ilustre) von Gaston Duprat und Mariano Cohn zu einer Abrechnung mit der Konformität des Literaturbetriebs. Preise zögen den Schriftstellern alle Zähne, sein Werk sei daher ab sofort dem Niedergang geweiht, sagt Mantovani in Anwesenheit des Königspaars.

Alte Bekannte, die gern tanzen: In "Ein ehrenwerter Bürger" kollidieren Welten.
Foto: Polyfilm

Die scharfsichtige Komödie des argentinischen Regieduos, die am Donnerstag das Cine-Latino-Festival im Wiener Filmcasino eröffnen wird (ab 22. April auch im Salzburger Das Kino), treibt ihr Spiel um die Rolle von Intellektuellen auf ungewöhnlichem Terrain. Denn der weltgewandte Autor Mantovani entscheidet sich, von vielen Angeboten ausgerechnet die Einladung aus seinem Heimatort Salas anzunehmen, wo er die Ehrenbürgerschaft bekommen soll.

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Der Clou daran: Salas hat im Werk des Autors zwar eine hervorgehobene Rolle, aber keine, die den Einwohnern unbedingt zu Ruhme gereicht. Duprat und Cohn haben diese Ausgangssituation für ein hintersinniges Szenario genützt, das gleichsam in Zeitlupe zu Kalamitäten und anschließend zur Eskalation führt. Mantovani muss beispielsweise bald erkennen, dass die Bürger seiner Gemeinde an seine Ehrung bestimmte Begehrlichkeiten knüpfen. Lässt er sich nicht darauf ein, ist Image und Ruhm schnell nichts mehr Wert. Gelesen wurde er ohnehin von den wenigsten. Der liberale, aber eben auch ein wenig selbstgefällige Weltbürger wird immer mehr zur Zielscheibe für Ressentiments, die in der Provinz Eliten gegenüber gut gedeihen.

Widerstand gegen Spekulanten

Ein ehrenwerter Bürger lief mit Erfolg auf dem jüngsten Filmfestival von Venedig. Es ist nicht die einzige Gelegenheit bei Cine Latino, lateinamerikanisches Autorenkino nachzuholen, das international reüssierte. Aquarius vom Brasilianer Kleber Mendonça Filho ist etwa ein echtes Festivalhighlight von 2016. Sônia Braga verkörpert die letzte Bewohnerin eines Apartmenthauses an der Boa Viagem am Strand von Recife. In Filhos fließenden Montagen, die wiederholt in die Vergangenheit führen, wird diese mitreißende Frauenfigur zum Sinnbild von Beharrlichkeit gegen ökonomiegelenkte Unzumutbarkeiten der Gegenwart.

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Um die Frage, welches Heim einem entspricht und welches nicht, geht es auch im jüngst auf der Diagonale prämierten Los Decentes (Die Liebhaberin) vom Österreicher Lukas Valenta Rinner. Die Protagonistin des sanft surrealen Dramas, ein Dienstmädchen in einem bürgerlichen Haus, wird von der Nudistengemeinde nebenan allmählich aus ihrer Reserve gelockt. Der chilenische Regieexzentriker Alejandro Jodorowsky (El topo) wiederum hat sich in Poesía sin fin mit seinem eigenen Erweckungserlebnis als Künstler im Santiago de Chile der 1940er- und 1950er-Jahre befasst – in Form eines zwischen Travestie und Musical changierenden Revuefilms. Aus Chile kommt auch Pablo Narraín, zuletzt mit Neruda im Kino, dem eine kleine, aber äußerst sehenswerte Werkschau gewidmet ist. (Dominik Kamalzadeh, 19.4.2017)