EU-Chefunterhändler Michel Barnier in London.

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Bereits am Mittwochabend hatte die britische Premierministerin Theresa May – im Vorfeld des Brexit-Gipfels vom Samstag – EU-Chefunterhändler Michel Barnier und Jean-Claude Juncker, den Präsidenten der Europäischen Kommission, in der Downing Street zum Dinner begrüßt. Bei dem "konstruktiven Gespräch", so Mays Sprecherin, waren auf beiden Seiten auch Spitzenbeamte vertreten, nicht aber der Mann, dessen Macht in London zunehmend misstrauisch beäugt wird: Mays Büroleiter Nick Timothy. Dabei dürfte dem Befürworter des britischen Austritts in den kommenden Monaten eine Schlüsselrolle zufallen, wenn es um die Koordinierung mit Brüssel und anderen wichtigen Hauptstädten geht.

Die Premierministerin hat die vorgezogene Unterhauswahl mit dem Wunsch begründet, sie wolle sich vom Wahlvolk "ein starkes Mandat für die Brexit-Verhandlungen" holen. Damit meint May Rückhalt für den harten Brexit, also den Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion sowie das Ende der Personenfreizügigkeit und der Aufsicht durch den EuGH.

Keine Brexit-Euphorie

Dass dies mit erheblichen Kosten für die Insel verbunden sein wird, kommt in Mays Reden und Wahlkampfauftritten höchstens in Andeutungen und Nebensätzen vor. Die von ihr behauptete "zunehmende Einigkeit" des Landes spiegelt sich in den Umfragen nicht wider. Auf die Frage, ob das Brexit-Votum ein Fehler gewesen sei, hat das Meinungsforschungsinstitut Yougov seit Wochen ein Patt – 44:44 Prozent, der Rest unentschieden – registriert. In der jüngsten Umfrage hält eine knappe Mehrheit den Brexit im Nachhinein für schlecht (45:43).

Gleichzeitig wollen aber zwei Drittel die einmal getroffene Entscheidung durchziehen. Paradox? "Nein, so sind wir Briten nun einmal", glaubt Professor Simon Hix von der London School of Economics (LSE). "Das Gefühl ist: So ist es nun entschieden, nun machen wir’s auch."

Erstmals Reallohnverluste

Dass sich zunehmend mulmige Gefühle einstellen, dürfte mit den immer unerfreulicheren Nachrichten aus der Wirtschaft zu tun haben. Zwar verzeichnete die Insel seit Juni noch ordentliches Wachstum, die Arbeitslosigkeit liegt bei 4,7 Prozent. Erstmals seit zweieinhalb Jahren müssen die Arbeitnehmer aber seit Februar wieder Reallohnverluste in Kauf nehmen.

Hix' LSE-Kollegin Swati Dhingra hat auch einen klaren Rückgang der Investitionen ausländischer Firmen auf der Insel beobachtet. Am Finanzplatz City of London sei der Abbau von Arbeitsplätzen schon jetzt spürbar. Diese Woche sprach die Deutsche Bank von bis zu 4.000 (von insgesamt 9.000) Posten, die möglicherweise aus London auf den Kontinent verlegt werden müssten. (Sebastian Borger aus London, 27.4.2017)