Schriftstellerin Zsuzsa Bánk: Die ungetrübt schönen Momente bleiben in der Minderzahl.

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Zsuzsa Bánk, "Schlafen werden wir später". Roman. € 24,70 / 685 Seiten. S.-Fischer- Verlag, Frankfurt a. M. 2017

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In Zeiten des Internets erfährt der Briefroman die Wandlung der elektronischen Kultur. Die Veränderung der Korrespondenz in Form und Stil hat schon ihren Niederschlag in literarischen Werken gefunden, meist keine Glanzstücke der Sprachkunst.

Mit ihrem Roman Schlafen werden wir später verschreibt Zsuzsa Bánk der Gattung eine betörend vielschichtige Verknüpfung aus Althergebrachtem und Neuartigem. Die E-Mails, die zwei Seelenfreundinnen von Mai 2009 bis Juni 2012 mitunter täglich wechseln, sind fein im Duktus früherer Episteln gehalten und beschränken sich in ihrem gehörigen Umfang nicht auf die heutige Kurzlebigkeit. Zugleich stehen sie ganz auf dem aktuellen gesellschaftlichen Boden und nützen die schnelle Vermittlung. Im Gegensatz zum digitalen Simulationszirkus ist das Wort "soziales Medium" hier durchaus ernst genommen.

Durch die Erzählperspektive der Nähe erhält man tiefe Einblicke in das Dasein zweier Frauen. Ähnlich wie Bánk selbst lebt Márta Horváth als Schriftstellerin in Frankfurt, ihre Eltern sind 1956, lange vor ihrer Geburt, aus Ungarn geflüchtet; Johanna Messner ist Lehrerin im Schwarzwald und schreibt an einer Doktorarbeit über Annette von Droste-Hülshoff. Eine Herzensgemeinschaft seit langem, eine sensible Sprachverwandtschaft, zwei unterschiedliche Lebenswege. Die eine führt eine urbane Existenz, die andere eine ländliche. Die eine klagt über den schweren Alltag mit drei kleinen Kindern, die andere über ihre Kinderlosigkeit. Die eine hat die Katastrophe bereits hinter sich, die andere steuert darauf zu. In erster Linie, sagt Zsuzsa Bánk, habe sie interessiert, wie es sich nach der Katastrophe, mit einem Trauma lebe.

Wie in ihrem bisherigen Werk geht es stark um Scheitern, Verlust und Abschied. Auch in diesem Buch lassen Männer ihre Frauen zurück. Der beeindruckende Beginn stellt Derartiges in Aussicht: "Liebste Johanna, heute Morgen hat Simon beim ersten frühen, viel zu frühen Kaffee gesagt, wäre er zehn Jahre jünger und hätte drei Kinder weniger, hätte er mich schon verlassen. Eine Drossel hatte sich ans nachtbeschlagene Fenster gesetzt und mit ihrem Schnabel angeklopft, als wollte sie uns warnen." Dies ist ein direkter Einstieg in das literarische Universum von Zsuzsa Bánk, er spielt bezeichnende Themen und Motive an.

Äußere und innere Konflikte

Beide Familien stammen aus dem Osten, Johannas Altvordere aus Böhmen und Wien, von der anderen Seite des Eisernen Vorhangs. Mártas ungarische Herkunft passt zum melancholischen Grundton. Von den Besuchen im Land der Eltern schildert sie die dicken Tränen beim Abschied und erklärt sie mit der Historie: "weil 1956 an diesem Gartentor immer mitgeweint wird".

Feingeistig schreiben sie einander ihre äußeren und inneren Konflikte, Nachrichten aus Familie und Umwelt, Geschichten aus der Vergangenheit, Berichte über Flora und Fauna, von Schule und Lyriklesungen, Kinderkrankheiten und Ferien am Wasser, Ausflügen und Reisen, von Todesfällen und Genesungen, von Hochzeiten und Festen. Die ungetrübt schönen Momente bleiben in der Minderzahl. Glück ist ein Krippenplatz für das Kleinkind. Körperlichkeiten sind kaum je mit Lust versehen. "Schlafen werde ich später einmal, wenn ich alt bin", teilt die von Mühen und Mühlen des Daseins müde Márta mit. Natürlich reicht das Motiv weiter, an späterer Stelle steht: "schlafen werde ich, wenn ich tot bin".

Immer klingt die Literatur mit, kaum eine Nachricht bleibt ohne kursives Zitat, ohne Bemerkungen zur Droste oder zu anderen Lektüren. Márta wartet auf "Wortgirlanden", um ihren Erzählband Das andere Zimmer abzuschließen. So haben beide Frauen ihre Rückzugsräume, für Johanna ist es das Blumengeschäft "Der geheime Garten", in dem sie Freunden aushilft.

Zsuzsa Bánk schafft eine umfangreiche, eindringliche Lebensmischung. Auf die Länge der fast 700 Seiten hält allerdings die Redundanz nicht immer den Erzählbogen, mag das Umständliche in schön beherrschter Sprache ermüden. Gewiss, vieles wiederholt sich im Lauf von mehr als drei Jahren, die Natur- und Stadtbilder ähneln einander. Unsereiner ertappt sich dabei, die Lektüre zu unterbrechen, um nachzurechnen, wie oft nun schon Tränen geflossen, Krankheiten heftig, Verhältnisse und Wetter mies sind. In der Reihe sprachlicher Virtuosität fallen Banalitäten eher auf, das Immergleiche untergräbt das Besondere. Die Männer gehen, die Frauen kämpfen, die Kinder schlagen Räder, wenn sie nicht fiebern. Ob Langeweile eine ästhetische Kategorie sein soll, hat Friedrich Schiller überlegt. Eindeutig fiel sein Urteil nicht aus.

Mag auch ein an die elektronische Geschwindigkeit gewöhntes Publikum, dem die Werbung immer schnellere Verbindungen verspricht, unruhig werden. Ihren Leserinnen und Lesern, die Zsuzsa Bánks bisheriges Werk schätzen, gibt Schlafen werden wir später reichlich literarische Nahrung. Sie werden wohl eine Kritikermeinung über Bánks vorigen Roman Die hellen Tage teilen, dass der einzige Makel des Buches darin bestehe, dass es aufhört. (Klaus Zeyringer, 29.4.2017)