Wien – Die Armut in Österreich ist im Sinkflug. Je nach Indikator sind ihr entweder seit 2008 über 150.000 Menschen entflohen, oder sie hat sich sogar halbiert. Das legen Zahlen der Statistik Austria nahe, die am Dienstag präsentiert wurden. Diese Aussagen zu treffen ist aber nicht so einfach. Warum man bei den Zahlen aufpassen muss, in fünf Punkten.

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Als arm gilt unter anderem, wer sich das Heizen nicht leisten kann.
Foto: ap / probst

1. Der Vergleich mit 2008 führt in die Irre

Unter Fachleuten und auch in der Statistik Austria ist es ein offenes Geheimnis: Die offiziellen Armutszahlen aus dem Jahr 2008 sind nicht sehr aussagekräftig. Sie sind wahrscheinlich zu hoch gegriffen. Denn der starke Rückgang im nächsten Jahr – die Armutsgefährdung ist um 1,5 Prozentpunkte gefallen – ist unplausibel. Damals ist wegen der Finanzkrise in den USA die Wirtschaft auch in Österreich massiv eingebrochen. Die 2008er-Zahlen sind aber wichtig: Die EU hat sich zum Ziel gemacht, über den Zeitraum 2008 bis 2020 ganze 20 Millionen Menschen aus der Armut zu holen. Deshalb wird auch für Österreich immer wieder der Vergleich mit 2008 gezogen.

2. Die Zahlen sind eine Hochrechnung – und nicht genau

Es gibt ein zweites Problem mit der Interpretation der Statistik. Die Zahlen stammen aus einer Hochrechnung, es wird von 6.000 Haushalten auf ganz Österreich geschlossen. Das wird zwar sorgfältig gemacht, wie bei Wahlumfragen gibt es deshalb aber eine sogenannte Schwankungsbreite. Die Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung wird für 2016 offiziell mit 18 Prozent angegeben. So genau weiß man das aber nicht. Das wird nicht kommuniziert, weil es wohl zu kompliziert wäre. Das echte Ergebnis ist: Die Armutsquote liegt irgendwo zwischen 16,5 Prozent und 19,4 Prozent. Das lässt sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent sagen.

3. Die Armut sinkt trotzdem – nur langsamer

Egal welcher Armutsindikator herangezogen wird, der Vergleich mit 2008 verzerrt die Erfolge in der Reduzierung der Armut. Sie gibt es aber trotzdem. Die Zahl der Menschen, die sich unter anderem keine Waschmaschine oder einen Urlaub leisten können, sinkt. Ignoriert man die Daten von 2008 und zieht 2009 als Vergleich heran, ist die Quote seither von 4,6 auf drei Prozent gesunken. Der Rückgang ist stärker als die Schwankungsbreite, heißt es aus der Statistik Austria. Vorsichtig lasse sich das auch beim breitesten Indikator – der Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung – so interpretieren.

4. Unter Fachleuten sorgt das für Rätsel

Schon bisher waren Sozialforscher erfreut darüber, dass die Armut in Österreich in der Krise nicht gestiegen ist. Dass sie jetzt aber sogar zurückgeht, obwohl die Arbeitslosigkeit und die Wohnungs- und Lebensmittelpreise so stark gestiegen sind, kann sich niemand erklären. "Ich rätsle", sagt Martin Schenk von der Diakonie, einer der renommiertesten Armutsforscher des Landes. "Plausibler wäre es umgekehrt."

5. Ein Experte erklärt, was jetzt zu tun ist

Österreich stehe im internationalen Vergleich jedenfalls sehr gut da, sagt Schenk. "Der Sozialstaat funktioniert." Es gebe aber trotzdem noch zu viele Arme, Migranten und Alleinerzieher seien seit jeher betroffen. Zusätzlich trifft es jetzt auch ältere Langzeitarbeitslose, sagt Schenk, "die sind seit der Krise eine Riesengruppe". Was kann die Politik tun? "Die Wohnkosten sind ein Riesenthema, viel mehr als früher. Und wir müssen Eltern, die es schwer haben, in den ersten Jahren noch viel mehr mit ihren Kindern helfen. Das sind entscheidende Jahre." (Andreas Sator, 5.5.2017)