Im Verfall begriffene Fassaden, Garagen, Motels werden bei Emmanuel Georges zu ikonischen Bildern der amerikanischen Stadtlandschaften. Allgegenwärtig poetische Melancholie.

Foto: Foto: Aufschlagseite aus Georges' "America Rewind", fotografiert von Lukas Friesenbichler

Als temporären Traum beschreibt das Werk des französischen Fotografen Emmanuel Georges die traurigen Reste dessen, was einst stolz als "American Dream" postuliert wurde. Die Tableaus des 1965 Geborenen sind zwar nicht ausnahmslos trist, aber eine seltsam fremdelnde Fragilität wohnt ihnen allen inne. Georges entlarvt durch Kargheit und Reduktion die Idee einer amerikanischen Identität als strukturiertes, künstliches Konstrukt.

Man könnte vorschnell meinen, dies geschehe aus der Position einer europäischen Arroganz heraus. Das aber wäre zu einfach. Georges zeigt eine Zerrissenheit, die aus Zuneigung und Hingabe resultiert. Aus einer sensiblen Sehnsucht nach Ferne, Fremdheit und Freiheit. Die archaischen Bilder erinnern an Wim Wenders, an Edward Hopper, an Walker Evans und nicht zuletzt an das erratische Werk des viel zu früh verstorbenen Stadtchronisten Franz Zadrazil. Auch diesem ging es darum, die Seele hinter verfallenden Fassaden, hinter Plakaten, Leuchtschildern, hinter abgeschlagenen Ziegelsteinen zu finden.

Drei Jahrzehnte gereist

Über drei Jahrzehnte verteilt bereiste Georges den amerikanischen Kontinent. Pendelnd zwischen Vorstadtidyllen, elenden Smalltowns, einsamen Hütten, endlos im Morast versinkenden Zentren, in Bedeutungs- und Arbeitslosigkeit mäandernden Stahl- und Automobilmetropolen. Die Imagination der Unverwundbarkeit, des Übermächtigen, des Großen findet Niederschlag in Straßenkreuzern und Megalomanie.

Klar wird, auch jenseits von Jimmy Dean, Robert De Niro, Kevin Spacey und anderen Amokläufern à la David Lynch oder auch in Selbstmitleid zerfließenden Losern, warum man an der Peripherie des Archipels davon träumt, "to make America great again". (Gregor Auenhammer, 7.5.2017)