Der Road Zipper ist eine amerikanische Erfindung. Er schafft es in zwölf Minuten, mehrere hundert Meter Betonschwellen von einer Fahrbahn auf die andere zu verrücken. Ihn hat die Asfinag speziell für den Tunnel Hirschstetten auf der Wiener Südosttangente angefordert.

STANDARD/Urban
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Wien – Das Schauspiel wiederholt sich Nacht für Nacht. Ein gelbes Ungetüm wälzt sich gegen 21 Uhr auf dem nordöstlichen Teil der Wiener Südosttangente auf die am Straßenrand drapierten Betonleitschienen zu, fädelt mit seinen stählernen Greifern in die Begrenzungsblöcke vorne rechts ein, hebt sie hoch und spuckt die tonnenschweren, mittels Stahlgliedern wie eine Kette aufgefädelten Quick Moveable Barrier (QMB) Sekunden später links hinten wieder aus.

Was sich an Fahrzeugen mit Respektabstand hinter dem mit sieben bis zehn Stundenkilometern dahinkrebsenden Road Zipper angestaut hat, fährt in der Folge um einen Fahrstreifen nach links versetzt durch den nunmehr auf eine Spur verengten Hirschstettener Tunnel.

Lärmende Schwerarbeit

Für die von der staatlichen Autobahngesellschaft Asfinag beauftragten Straßenbauarbeiter ist nun der Weg frei. Knapp acht Stunden haben sie Zeit, die Wände und Deckenkonstruktion in einem der vielen je rund 23 Meter langen Abschnitte des Hirschstettener Tunnels und des ihm vorgelagerten Stadlauer Tunnels zu erneuern. Es ist Schwerarbeit bei ohrenbetäubendem Lärm, der einerseits von den auch nachts, wenn auch in deutlich reduzierter Zahl, vorbeidonnernden Fahrzeugen kommt, andererseits von den Baumaschinen. An der Rückseite der gut fünf Meter hohen Stützmauer krachen Güterzüge vorbei.

Die fahrende Spezialfräse etwa, deren Roboterarm in eine Staubwolke gehüllt den nach mehr als 25 Jahren porös gewordenen Belag von der Tunnelseitenwand schabt, kommt nur langsam voran. Haben die wie dicke Borsten rotierenden Metallzacken und -schaber an die 18 Zentimeter Beton weggekratzt, rollt ein überdimensionierter Staubsauger durch und sammelt den (kontaminierten) Abfall ab, schildert Stefan Riedler von Tecton Consult Baumanagement, die im Auftrag der Asfinag die Baumaßnahmen überwacht.

"Man gewöhnt sich dran", scherzt ein Bauarbeiter in T-Shirt und oranger Latzhose über die tägliche Nachtarbeit von Frühjahr bis Spätherbst. "Hier drinnen sieht man eh nicht, ob es Tag oder Nacht ist, regnet oder schneit." Er führt eine Scheibtruhe unter den Auslass des Mischbetonlasters, um herabrinnenden Flüssigbeton auf Qualität zu prüfen. Er darf nicht zu dünn oder dick sein, nicht zu warm oder kalt. "Sonst entstehen Risse im Beton, in die im Winter Streusalz und Wasser eindringen, was die Lebensdauer stark verringern kann", erklärt die für die Wiener Baustellen verantwortliche Asfinag-Koordinatorin Brigitte Müllneritsch.

Für die Ewigkeit

Lange Lebensdauer gehört bei der Sanierung der in den 1970er-Jahren erbauten A23 (der nordöstliche Teil mit den Anschlussstellen Hirschstetten und Stadlau wurde 1993 für den Verkehr freigegeben) zu den Grundfesten. An die 200.000 Fahrzeuge werden im Zentrum bei der Anschlussstelle Handelskai pro Tag gezählt – konzipiert wurde die Autobahn durch den Prater einst für 45.000 Autos. Eine Totalsperre neuralgischer Punkte wie Hirschstettener oder Stadlauer Tunnel – täglich fahren hier gut 100.000 Fahrzeuge durch – ist deshalb ebenso undenkbar wie in Inzersdorf im Süden.

Knapp 300 Millionen Euro hat die Asfinag 2014 für die Generalsanierung der 18 Kilometer langen A23 veranschlagt; allein 44 für die drei Kilometer mit den Tunnels Hirschstetten und Stadlau. Um einen Verkehrsinfarkt der Bundeshauptstadt zu vermeiden, wird quasi am offenen Herzen operiert. Da selbst eine Verengung auf eine Spur pro Fahrtrichtung nur nachts möglich sei, sagt Müllneritsch, eine von sehr wenigen Frauen in der Männerdomäne Bau, kommt der Road Zipper zum Einsatz.

Wasser in der Wanne

Im Sommer sei die Sperre einer Tunnelröhre allerdings unumgänglich, sonst könnten Fahrbahn und Unterbau nicht saniert werden. Denn im Tunnel Hirschstetten ist nicht nur der Asphalt brüchig, sondern auch die auf Grundwasserniveau liegende Wanne undicht, in der die Fahrbahn liegt. Das erklärt wiederkehrende Wassereinbrüche, die es regelmäßig als Stauursache in den Verkehrsfunk schaffen. Bis zu den Sommerferien muss die sogenannte Vorsatzschale fertig sein, eine Mauer aus hellem Spezialbeton, die an die alte Tunnelmauer gebaut wird. An die Decke kommen Brandschutzplatten, neue Beleuchtung, Funk- und Notrufeinrichtungen.

Klar ist nun, warum tagsüber kaum ein Bauarbeiter auf der rund drei Kilometer langen Baustelle zu sehen ist. Denn gegen fünf Uhr früh wiederholt sich die eingangs geschilderte Prozedur. Der Road Zipper verrückt die Betonbarrieren wieder zurück an ihre alte Position und räumt die zweite Fahrspur im Baustellentunnel. Pro Jahr legt er so 750.000 Laufmeter zurück. Der Weg für mehr als 100.000 Fahrzeuge aus und in die Bundeshauptstadt ist wieder frei. (Luise Ungerboeck, 7.5.2017)