Das Publikum steht über der Kunst: "Faust" nennt Anna Imhof ihre martialisch choreografierte Performance, für die sie im deutschen Pavillon einen gläsernen Boden einziehen ließ.

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"Goldener Löwe" für den Deutschen Pavillon. Anne Imhof (siebente von rechts) und ihr "Winning Team."

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Warteschlangen vor Pavillons gelten in der Voreröffnungswoche als Qualitätskriterium. Je länger, desto besser. Frankreich, Großbritannien, Deutschland, USA, Israel, dieses Jahr auch Österreich: überall Stau. Am längsten dauert es, bis man bei den Deutschen drin ist – und einige Zeit einer insgesamt viereinhalbstündigen Performance beiwohnen, genauer gesagt: über ihr stehen kann. Anne Imhof zeigt uns dort ihre(n) Faust, aber wie.

Wer es nicht bis hinein, aber wenigstens bis zur großen Glaswand schafft, beobachtet von draußen das Geschehen, die im Inneren werden unversehens Mitwirkende in dieser extra dry und superhart choreografierten Performance über Macht und Ohnmacht. Der von der 39-jährigen Imhof gestaltete deutsche Pavillon bekam den Goldenen Löwen als bester nationaler Beitrag. Der Konzeptkünstler Franz Erhard Walther aus Fulda wurde mit dem Goldenen Löwen als bester Künstler ausgezeichnet.

Unmodisch modern

Ebenfalls heiß gehandelt worden war die rumänische Grande Dame der konzeptuellen Kunst, Geta Bratescu (91). Ihr multimediales, aus Zeichnungen, Fotografien, Film, Collagen und Skulptu- ren bestehendes Lebenswerk ist wahrlich eine Entdeckung, frisch, spannend, unmodisch modern – und straft all jene Lügen, die in der Kunst stets das Neue, Marktfrische einfordern. Im Vorjahr wurde Bratescu, überhaupt zum ersten Mal außerhalb Rumäniens vorgestellt, mit einer retrospektiven Werkschau in der Hamburger Kunsthalle. Der Löwe fürs Lebenswerk ist ja schon ihrer amerikanischen Kollegin Carolee Schneemann bestimmt.

Gleich neben Rumänien verwandelt Cinthia Marcelle (43), die vor zwei Jahren in der Secession gezeigt wurde, den brasilianischen Pavillon in ein beeindruckend schlichtes, sinnlich erlebbares Raumbild. Sie wurde dafür mit einer speziellen Erwähnung der Jury ausgezeichnet. Und in Griechenland, in der Giardini-Geografie gleich nebenan, hat der 46-jährige Filmemacher, Videokünstler und gelernte Politologe George Drivas seine nicht nur wegen der Flüchtlingskrise politisch brisante, ästhetisch zwingende Versuchsanordnung Laboratory of the Dilemmas realisiert. Basierend auf Aischylos' Die Schutzflehenden verhandelt er in einer Art audiovisuellem Puzzle die Frage, ob alte und neu dazugekommene (Zell-)Kulturen miteinander oder nur isoliert voneinander überleben.

Arm und Reich

Die draußen und wir drinnen: Auch die Kunstwelt teilt sich, wie im richtigen Leben, in Arm und Reich; in die über die Lagune versprengte, oft unbeachtete Mehrheit und in die alteingesessenen, mit Zäunen abgesicherten, mächtigen Happy Few in den Giardini. Mehr, teurer, opulenter: Die Voraussetzungen sind für die Teilnehmerstaaten an diesen Kunstweltmeisterschaften wahrlich sehr verschieden.

Gleich ein komplettes Tonstudio ließ der 53-jährige Xavier Veilhan in den französischen Pavillon basteln. Immerhin kriegt man bei ihm den halbstündigen, hirnverkleisternden Eso-Kitsch wieder aus dem Kopf, der einem bei den Dänen in fast völliger Dunkelheit eingebläut wird.

Doch die weitaus spannendere Klangrauminstallation über Missverständnis, Kommunikation, Allerweltsgeplapper hat Eve Ariza (38) für Andorra in einem Hinterhof in der Nähe von San Zaccaria verwirklicht. Sie taucht den mit Klangschalen verkleideten Raum in ein permanentes Murmeln. Dicht an dicht hat sie die unterschiedlichen, tönernen und metallenen Schalen an die Wand gehängt – aber nicht überladen. Das bleibt dem Afroamerikaner Mark Bradford (56) vorbehalten, der den riesigen US-Pavillon für geschwätzig Urban Tales mit Kunst buchstäblich zumüllt. Auch die britische Starkünstlerin Phyllida Barlow (73) rammelt in und vor den britischen Pavillon möglichst viel ihrer Schrott-Skulpturen. Noch ein bisschen mehr, und fürs Publikum ist künftig gar kein Platz mehr in den Pavillons.

Ende der Welt

Das könnte stattdessen draußen vor den Giardini-Toren etwa die künstlerisch wie politisch interessanten Mongolen entdecken, bei deren Eröffnung neben den fünf Künstlern gerade einmal zwanzig Besucher Lost in Heaven waren. Durch Simbabwe reist man derzeit überhaupt allein. Zu Unrecht, denn, wie eine der Arbeiten geradezu programmatisch heißt: It's not the end of the wor(l)d.

Das Ende der Welt naht hingegen in Riesenschritten dem Biennale-Novizen Kiribati. Auf kleinstem Raum – vier mal fünf Meter – wird unter dem Titel Sinking Islands, Unsinkable Art erzählt, dass die Kunst lang ist, das Überleben ihres Inselstaates hingegen kurz. Experten prognostizieren, dass aufgrund des Klimawandels Kiribati in zwanzig, dreißig Jahren im Pazifik untergegangen sein wird.

"Wasser unter" heißt es auch im wegen Umbaus nicht geschlossenen kanadischen Pavillon. Das Dach ist schon weg. In einer spektakulären Inszenierung lässt Geoffrey Farmer (60), der ab Juli im Salzburger Kunstverein ausstellt, Wasserfontänen in den Himmel schießen. Dünne Strahlen aus den Wänden nässen die Besucher, das ist fast so lustig wie die Wasserspiele in Hellbrunn. (Andrea Schurian aus Venedig, 14.5.2017)