Wer schon einmal jung war – und man darf davon ausgehen, dass es die meisten betreffen wird –, der kann sich vielleicht noch erinnern, wie man erste Schritte in die Welt der Literatur setzte: erst mit Bilderbüchern und Kinderliedern und kleinen feinen Kurzgeschichten.

Manche mit der düsteren Grausamkeit der Märchen der Gebrüder Grimm, andere mit rätselhaften, traurigen Parabeln von Hans Christian Andersen. Oder vielleicht mit den humorvollen, weisen Geschichten Mira Lobes.

Und je älter wir wurden, desto weiter wagten wir uns selbstständig in dieses sich nach dem Text- und Sound-Urknall vor uns ausbreitende Universum aus Buchstaben und Kopfbildern.

Ein Buch bietet jungen Lesenden etwas, das weder Computerspiel noch Film können: die Entdeckung der Langsamkeit. Das Gestalten seiner Wahrnehmung, losgelöst von vorgegebenen Schablonen, die das Visuelle und Beschleunigte zwangsläufig mit sich bringen. Man kann die Augen schließen und innehalten, eigene Eindrücke entstehen lassen.

Diese Langsamkeit ist etwas, das vielen Kindern und Jugendlichen fremd wird. Lesen ermöglicht ein Fortbewegen innerhalb einer Geschichte in einem vollkommen eigenen Tempo, es ist das Feiern seiner Unabhängigkeit von äußeren Faktoren, es ist ein Entdecken seiner selbst.

Wie hätte unsere Kindheit und Jugendzeit wohl ausgesehen ohne Nils Holgersson, Pippi Langstrumpf, Tom Sawyer und Bastian Balthasar Bux, der den Inbegriff des Selbstverlustes und der Selbstfindung vor einer blendend bunten fantastischen Kulisse darstellt?

Wir lernten zu trauern mit den Brüdern Löwenherz, wir lernten auf die eigene Stärke zu vertrauen mit Ronja Räuberstochter. Wir flogen ins Weltall, wir gingen zurück in die Vergangenheit.

Gute Jugendliteratur ist immer eine, die Erwachsene genauso berührt, verführt, begeistert und bildet – und eine schöne Gemeinsamkeit aufbaut.

Eine Reise um die Welt und zum Mittelpunkt des Selbst. Eine Reise, die anzutreten es sich in jedem Fall lohnt. (Julya Rabinowich, 20.5.2017)