Wenn kluge Menschen öffentlich sagen, Klimaschutz sei ein vager Begriff – dann weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Denn das Gegenteil ist der Fall: Wenn man postfaktische Spekulationen aus dem Hause Trump beiseitelässt, ist die Sache sehr konkret. So konkret, dass Österreich sich dazu verpflichtet hat, sich aktiv am Schutz des Weltklimas zu beteiligen. Die Pariser Klimabeschlüsse und die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen sind Eckpunkte globaler Nachhaltigkeitspolitik. Österreich ist mit dabei. Und das ist auch gut so.

Weniger gut ist es, dass Klimaschutz und Nachhaltigkeit dann, wenn es ernst wird, regelmäßig ins Hintertreffen geraten. Die Diskussion um die dritte Piste des Flughafens Wien und die damit verbundene Debatte um ein Staatsziel "Wachstum" zeigen, dass dies nach wie vor der Fall ist. Auf die Absurdität, Nachhaltigkeit und Wettbewerb gegeneinander ausspielen zu wollen, wurde in einem vielbeachteten offenen Brief von Sigrid Stagl und vielen anderen Professorinnen und Professoren bereits hingewiesen. Auch die juristischen Aspekte der Problematik sind (im STANDARD vom 24. Mai) ausführlich dargestellt worden.

Modus "Herumwurschteln"

Darüber hinaus drängt sich die grundsätzliche Frage auf, warum sich unsere Gesellschaft so unendlich schwertut, bei Themen wie Wachstum und Nachhaltigkeit halbwegs konsistent zu agieren. Angesichts der Komplexität des Themas und der unterschiedlichen Motivlagen ist es vielleicht verständlich, dass hier politisch oft im Modus "Herumwurschteln" operiert wird. Aber von der steuerungsoptimistischen Fantasie mancher Staatszielideen einmal abgesehen: Der gesellschaftliche Umgang mit dem Wachstumsthema verweist auf etwas Grundsätzliches, das weder im wirtschafts- noch im umweltpolitischen Diskurs angesprochen wird.

Aktuelle Diskurse oszillieren regelmäßig zwischen technikoptimistischen Träumen vom "grünen Wachstum" und dem kulturpessimistischen und moralgesättigten Diskurs über "Postwachstum". Ersteres ist heute der Mainstream, der die Politik dominiert. Letzteres strebt eine Gesellschaft ohne Wachstum an. Der dritte Weg eines "ehrlichen Wachstums" würde anerkennen, dass die beiden anderen Wege möglicherweise Irrwege sind. Ehr- lich wäre es anzuerkennen, dass die Problemlösungskapazität ausschließlich technischer Ansätze sehr begrenzt ist, wachstumskritische Ideen aber bislang auch kaum hinreichende Antworten auf die Frage zu geben vermögen, wie eine anstrebenswerte Welt ohne Wachstum aussehen könnte.

Zugespitzt: Ehrliches Wachstum würde sich zur "friedensstiftenden Funktion" wirtschaftlicher Expansion bekennen, aber gleichzeitig auch dessen langfristiges ökologisches Scheitern anerkennen. Faktisch läuft es ohnehin schon so: Alle bekennen sich zur (ökologischen) Nachhaltigkeit – aber wenn's drauf ankommt, gewinnt das Wachstum. Das ist kein (nur) juristisches, politisches oder ökonomisches Problem. Denn Wachstum ist nicht nur deshalb "friedensstiftend", weil es historisch oft ein Substitut für Verteilungskämpfe war. Nein, die Sache geht viel tiefer.

Kulturelle Zerstörungsenergie

Wolfgang Schivelbuschs 2015 erschienenes Buch Das verzehrende Leben der Dinge endet mit folgendem Satz: "Die Kultur des Güterkonsums seit Beendigung des letzten Weltkriegs, der Konsumismus, scheint gerade so viel Zerstörungsenergie und -lust zu binden, wie zur Aufrechterhaltung dieses in der neueren Geschichte einmaligen Friedenszustands erforderlich ist." Ohne eine "Ableitung" dieser kulturellen Zerstörungsenergie, so ist Schivelbusch zu lesen, kann es keinen Frieden geben.

Wenn aber in einer endlichen Welt diese "Ableitung" nicht dauerhaft durch Produktion und Konsum erfolgen kann – was dann? Dann steht man womöglich vor folgender Wahl: Entweder man wächst weiter auf Kosten der Umwelt und stellt damit (wenn auch nur regional begrenzt und nur vorübergehend, denn Klimawandel wird gewiss nicht friedlich vonstattengehen) halbwegs friedliche gesellschaftliche Zustände sicher – oder man riskiert Gewalt, Krieg und Chaos. Weder ein technologiebasiertes Vertrauen auf umweltverträgliches Wachstum noch die Hoffnung auf Erlösung durch moralgetriebenes "Postwachstum" sind vor diesem Hintergrund besonders erfolgversprechend.

Nutzen, Großzügigkeit und Wohlstand

Wer die Moderne modernisieren und dazu beitragen will, dass gesellschaftlicher Fortschritt möglich bleibt, kommt deshalb nicht an der Frage vorbei, wie der andauernde Steigerungsprozess von Mangelerfahrung, Mangelbeseitigung, Mangelproduktion, erneuter Mangelerfahrung und immer so weiter durchbrochen werden kann. Dies erfordert eine völlig neue Interpretation von Begriffen wie Nutzen, Großzügigkeit und Wohlstand. Jenseits von Landebahnen und Verfassungsdiskussionen wird deutlich, dass ein "nachhaltiger" Fortschritt wesentlich grundlegendere Änderungen braucht, als das politisch aktuell opportun erscheint. Der jüngst immer wieder verwendete Begriff der "großen Transformation" ist nicht übertrieben. Wo allen Ernstes angestrebt wird, Wachstum als Staatsziel festzulegen, erscheint eine solche Transformation sehr, sehr weit weg. (Fred Luks, 25.5.2017)