Daniel Schreiber, "Zuhause. Die Suche nach einem Ort, an dem wir leben wollen". € 18,- / 144 Seiten. Hanser, Berlin 2017

Foto: Hanser Berlin

Wie wichtig ist es, ein Zuhause zu haben? Gar nicht, behauptete einst der von den Nazis in die USA vertriebene Philosoph Theodor W. Adorno. Denn mit diesem überkommenen Konzept versuche man sich nur über die Katastrophen dieser Welt hinwegzutäuschen. Daniel Schreiber, Jahrgang 1977, fühlte sich einer solchen Reaktion auf traumatische Verlusterfahrungen lange wahlverwandt. In seinem neuen Buch erinnert der Journalist und Susan-Sontag-Biograf eindrücklich, wie er als heranwachsender Homosexueller in der mecklenburgischen Provinz noch den Psychoterror der DDR-Pädagogik durchleiden musste.

Nach der Wende habe er sich daher umgehend in die Verheißungen urbaner Freiheit gestürzt, erst in Hamburg, dann in New York und London. Erst Jahre später, nach dem Ende einer Beziehung, sei ihm die "Leerstelle" in seinem Nomadenleben bewusst geworden. Schon 2014 machte er in Nüchtern seine Alkoholkrankheit zum Thema eines persönlichen Essays. Auch Zuhause ist eine anregende Meditation über einen schwierigen Begriff in einer immer unheimlicher werdenden Welt. Und zugleich die Rekonstruktion von Schreibers eigener Suche nach einem Ort, der für ihn Stabilität und Bindung bedeuten könnte.

250 Millionen Menschen

Beides in Auseinandersetzung mit Philosophen, Soziologen und Psychoanalytikern, aber auch mit den eigenen Vorfahren. Denn wie so viele deutsche Familiengeschichten ist auch die der Schreibers geprägt von Vertreibungen und Neuanfängen. Heute, in Zeiten von Globalisierung und Flüchtlingskrise, leben 250 Millionen Menschen in einem Land, in dem sie nicht geboren wurden. Daher werde das Zuhause immer mehr zu einem "imaginären Ort", "gleichermaßen ein realer wie ein innerer, spiritueller oder sozialer Ort". Verklärend-nostalgischen Sehnsüchten erteilt Schreiber eine Absage: Das Zuhause sei kein Paradies, aus dem wir einst vertrieben wurden, weil dieses nie existiert habe. "Sich ein Zuhause zu suchen bedeutet nicht, nach einer besseren Stadt Ausschau zu halten, (...) einem anderen Land. Sich ein Zuhause zu suchen bedeutet, einen Ort in der Welt zu finden, an dem wir ankommen – und dieser Ort wird zuallererst ein innerer Ort sein, ein Ort, den wir uns erarbeiten müssen." Wozu die Lektüre von Schreibers Essay schon ein guter Anfang wäre.(Oliver Pfohlmann, Album, 29.5.2017)