Wien – Krebsforscher Christopher Portier hat sich am Sonntag in einem offenen Brief an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gewandt, nachdem er in Krebsstudien der Hersteller des umstrittenen Herbizids Glyphosat acht noch unberücksichtigte Tumorbefunde in Fütterungsstudien mit Mäusen und Ratten gefunden hatte. Damit wäre man bei 21 signifikanten Befunden – anstelle von anfangs vier.

Erst vor rund zwei Wochen wurde publik, dass die EU-Kommission eine Verlängerung der Glyphosat-Zulassung um zehn Jahre plant. Die nun von Portier, dem ehemaligen Leiter des US National Toxicology Program, angeführten acht "übersehenen" Befunde sind deshalb interessant, weil sie im Zulassungsantrag der Glyphosate Task Force (Zusammenschluss von 25 Glyphosat-Herstellern) nicht offengelegt, aber in den ebenfalls eingereichten Originalstudien dokumentiert wurden. Portier konnte Einsicht in die Studien nehmen, weil diese aufgrund eines Antrags der Grünen im Europaparlament teilweise offengelegt wurden.

Angaben nicht korrekt

Portier weist in dem der APA vorliegenden Brief darauf hin, dass die EU-Behörden bereits 2015 durch die IARC-Monografie darauf aufmerksam gemacht wurden, dass die Angaben der Industrie über ihre Krebsstudien nicht korrekt waren, woraufhin das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) seine Auswertung evaluieren musste. Das führte dazu, dass das BfR im August 2015 in seinem Anhang 13 anstelle von ursprünglich nur vier statistisch signifikanten Krebsbefunden anführte.

Der Grund, weshalb das BfR ursprünglich nur vier Studien als signifikant erkannt hatte: Die Behörde hatte "auf die statistischen Auswertungen in den Herstellerstudien vertraut", wie das Institut in seinem Anhang zugab. Dabei stufte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) eine krebserregende Wirkung des Pestizids als "unwahrscheinlich" ein – wiederum aufgrund einer Analyse des BfR.

Neue Tumorbefunde

Die Efsa hatte im März 2017, nachdem der von Global 2000 veröffentlichte Bericht "Die gekaufte Wissenschaft" Zweifel an der wissenschaftlichen Unabhängigkeit des EU-Zulassungsverfahrens geäußert hatte, gekontert, man würde "in erster Linie auf die Originalstudien und die darin enthaltenen Rohdaten, die sie selbst überprüfen, vertrauen", zitierte Portier in seinem Schreiben. Die nun von ihm an Juncker übermittelten Erkenntnisse widersprechen dieser Aussage im Fall der angesprochenen Krebsstudien.

Portier fordert in seinem Schreiben unter anderem, dass die neuen Tumorbefunde Eingang in die Bewertung von Glyphosat finden und dass die Efsa im Sinne der wissenschaftlichen Transparenz alle Rohdaten öffentlich zugänglich macht. "Der vorliegende Fall zeigt erneut, dass das System mit den Geheimstudien so nicht funktioniert", sagte Helmut Burtscher, Umweltchemiker bei Global 2000. Denn nur die Behörden haben normalerweise Einsicht in die Rohdaten, hätten das aber offensichtlich nicht genutzt, obwohl ihnen vor Augen geführt wurde, dass die Industrieangaben falsch waren. "Es ist offenbar geworden, dass die Efsa, wie zuvor das BfR, der Öffentlichkeit die Unwahrheit gesagt hat." (APA, 29.5.2017)