Jean-Claude Juncker wollte im Ausschuss nicht "in den Mist der Mitgliedsstaaten" in der Vergangenheit blicken, sondern jetzt auf EU-Ebene für einen geregelten "fairen Wettbewerb bei Steuern" sorgen.

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Brüssel – Vorwürfe, dass er in seinen 19 Jahren als Premierminister von Luxemburg allen möglichen Modellen der Steuerflucht und -begünstigung wissentlich Vorschub geleistet habe, begleiten Jean-Claude Juncker seit Jahren. Anfang November 2014 war er als Kommissionspräsident kaum eine Woche im Amt, sorgten Enthüllungen von (legalen) "Steuerdeals" großer Konzerne in seinem Heimatland EU-weit für Empörung.

Über Briefkastenfirmen konnten sich durch Verschiebung von Gewinnen zwischen EU-Staaten Konzerne Milliarden an Steuern ersparen. "Luxleaks", wie die von Journalisten aufgedeckte Praxis betitelt wurde, brachte Juncker in die Defensive. "Pate der Steuerhinterzieher" wurde er genannt. Er bestritt persönliche Involvierung in solche "tax rules": Steuervereinbarungen würden in Luxemburg von der Administration gemacht, war sein Argument im vom EU-Parlament eingerichteten Untersuchungsausschuss. Tatsächlich wurde ihm kein Fehlverhalten nachgewiesen.

Auf Luxleaks folgten weitere Enthüllungswellen, so auch über die Flucht tausender EU-Bürger in Steueroasen wie Panama, belegt mit Dokumenten von Whistleblowern. Auch das untersuchte das EU-Parlament. Und wieder tauchte Luxemburg, so wie mehr als ein Dutzend anderer EU-Länder, darunter Österreich und Belgien, als tatkräftige Unterstützer von Steuervermeidung auf.

Aus einer anderen Zeit

Am Dienstag war Juncker im Panama-Ausschuss wieder als Zeuge vorgeladen. Anders als viele Banken und Konzernchefs, mit denen die EU-Abgeordneten gern Dinge abgeklärt hätten, kam er auch – für 90 Minuten. Im Vorfeld waren schwere Vorwürfe laut geworden. Die Grünen haben eigens eine Studie erstellen lassen mit dem Ergebnis, dass Juncker durch Obstruktion bei der EU-Zinsrichtlinie seit 2002 den Partnern in Europa einen Riesenschaden verursacht habe. Weil sein Land (so wie Österreich) durch Beharren auf die Quellensteuer den Informationsaustausch zwischen Finanzbehörden blockierte, seien allein Deutschland 177 Millionen Euro an Steuern entgangen – von Deutschen, die ihr Geld nach Luxemburg brachten.

Scharfe Kritik

"Die Bürger erwarten, dass dafür jemand die politische Verantwortung übernimmt", hielt der Grüne Sven Giegold Juncker entgegen. Er ist der schärfste Kritiker im Ausschuss, wenngleich er ihm konzedierte, dass die Kommission seit 2014 viele Initiativen gegen Steuervermeidung gesetzt habe: "Sie sind vom Saulus zum Paulus geworden", bemerkte Giegold. Der Kommissionspräsident weist die Anwürfe kategorisch zurück. Was die Quellensteuer betrifft, sagt er, habe man "damals in einer anderen Welt gelebt". Auch Wissenschafter hätten die Position vertreten, dass die Endbesteuerung von Kapitalerträgen effizienter sei als grenzüberschreitender Informationsaustausch.

Juncker wiederholt auch seine Verteidigung im Luxleaks-Ausschuss, dass ein luxemburgischer Finanzminister gar keinen Einblick in Steuerakten von Bürgern haben dürfe – "anders als in anderen Ländern". Und er beginnt, eine ganze Liste von Vorschlägen und Richtlinien "seiner" Kommission seit 2014 vorzutragen: bezüglich mehr Transparenz, Steuerdatenaustauschs, Bankenunion, Steuerbemessung von Großunternehmen etc. "Messen Sie meine Verantwortung nicht am Mist der Mitgliedsstaaten", sagt er. Er habe gelernt, trete für Steuerwettbewerb zwischen den Ländern ein, "aber für einen fairen Wettbewerb".

Je länger der Kommissionschef "verhört" wird, desto schwächer werden Angriffe. Louis Michel, ein liberaler Belgier, lobt ihn am Ende: Im Vergleich zur Kommission von Vorgänger José Manuel Barroso habe Juncker "Kolossales" gegen Steuerflucht geleistet. (Thomas Mayer aus Brüssel, 31.5.2017)