Unromantisch, aber hautnah: Ach das alte Handbürstl von Thomas Raab hat das Zeug zum liebsten "Sommerding".

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Thomas Raabs Kriminalroman "Der Metzger" erschien im Droemer-Verlag. Heuer will er die Unmengen Löwenzahn in der Wiese nicht grantig ausreißen, sondern dankbar aufessen.

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Samstagmorgen. 9.00 Uhr. Ich sitze im Büro, ringe mir Textbruchstücke ab, über mannshohe Badetücher, Family-Tennis, Lichtschutzfaktoren, dann über Gemischten Satz, überlege kurz, mir einen aufzumachen, ist allerdings erst 11.00 Uhr, also gar ein bisserl früh, dann eben ein paar Zeilen über Badeseen mit Trinkwasserqualität oder weil grad eine nervt: Gelsenplage.

Alles ein Schmarrn. Einzig der Kaffee ist gut, der dritte bereits.

Bald 12.00 Uhr. Ich ertappe mich erneut in irgendeinem Innenpolitikteil, "derstandard.at", "presse.at", "news.orf.at", wissend, mich ja geistig gar nicht entschieden zu haben, schon wieder dorthin surfen zu wollen. Armselig. Der Körper überholt das Hirn.

Und dann überholt er es tatsächlich: 13.00 Uhr. Ich steh auf. Erstmals ist es vor den Fenstern gefühlt nicht nur schlagartig richtig Frühling geworden in diesem Jahr, sondern sowieso gleich Vorsommer. Warm genug, um Schuhe und Socken auszuziehen, in die alte, abgeschnittene, kurze Hose zu schlüpfen, und endlich Schiebetür auf, hinaus in den Garten. Herrlich, aber auch irgendwie Flucht vor mir selbst, weil eigentlich heißt ja der Auftrag: Schreibtisch.

Stattdessen aber Unkraut zupfen, mit bloßen Händen, weil sich Erde mit Handschuhen seltsam distanziert anfühlt, wie Duschhauben oder politische Bruderküsse.

Und aus dem Unkrautzupfen wird das Einsetzen von Pflücksalat, dann das Aufklauben von Nacktschnecken, auch ohne Handschuhe, wenn schon, denn schon, dann die Idee, ich könnt ja aus den alten Holzlatten hinter dem Haus ein neues Hochbeet bauen. Also Kappsäge holen, Akkuschrauber, Schleifpapier, und eine der zig Laden mit kiloweise Schraubenresten, da kann ich mir die nächsten Jahre Hochbeete basteln, so viel Garten hab ich gar nicht.

Mischung

Macht Spaß das Umwerken, auch den Kindern, ruck, zuck ist alles fertig, braucht man nur noch Erde um das Hochbeet zu füllen. Liegt genug herum in irgendeiner Gartenecke, also zusammenschaufeln, ein bisschen auflockern, Kappsägespäne gleich dazumischen, ein bisschen Kompost, alles in das Beet füllen, und wenn es warm genug bleibt, endlich das Basilikum raussetzen.

Um 19.00 Uhr sind die sechs Stunden seit 13.00 Uhr doppelt so schnell vergangen, wie die drei zwischen 9.00 und 12.00. Dreckig bin ich von oben bis unten, wie immer, wenn ich aus dem Garten komm. Meine Frau lacht mich an, liebevoll, wissend. Kennt mich ja. Meine Mutter fällt mir ein, als ich als Kind während unserer Landaufenthalte in der Stube stehe, und da war nur das Schmunzeln in ihrem Gesicht, der stumme Auftrag: ausziehen, Komplettreinigung, sofort, damals noch in so einem kleinen Lavoir mitten in der Küche, reinhocken mit Waschlappen, und dann Überschwemmung. Dusche gab es keine, dafür ein hölzernes Plumpsklo. Traumurlaub, nur für uns Kinder.

19.30 Uhr. Ich stehe in der Dusche, spüre jeden Muskel, den Sonnenbrand auf meinem Nacken, gut, den um 17.00 geöffneten Gemischten Satz spür ich auch ein bisserl, herrlich also; das von meinem Körper abfließende Wasser nur ein dunkelbraunes Rinnsal; Erde so tief unter meinen Nägeln, sinnlos jeder Waschlappen – und mir wird klar, welcher Gegenstand für mich perfekt den Sommer symbolisiert, zwar unromantisch irgendwie, aber doch dermaßen hautnah, mehr geht kaum: mein kleines, uraltes hölzernes Handbürstel – wie es über die dreckigen Fingerspitzen gleitet, wie es die von der Wiese grün gefärbten Fußsohlen, die braunen Knie wieder wohnzimmertauglich werden lässt.

Wenn dieses Kleinod in meinen Händen liegt, weiß ich: Der Sommer ist da, ich darf ihn wieder spüren, darf mich wieder spüren, unmittelbar, darf die Erden spüren, die Pflanzen, das Tun, darf manches zum Leben erwecken und selbst wiedererwachen.

Glücklich und dreckig. (Thomas Raab, RONDO, 16.6.2017)