Christian Kastrop: "Es geht immer um eine intelligente Verknüpfung von staatlichen Investitionen und Konsumausgaben."

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Die Arbeitsmärkte entwickeln sich dynamisch, daher müsse man immer überprüfen, was man von anderen Ländern lernen könne, sagt Christian Kastrop. Er warnt aber vor Kürzungen bei Migranten.

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STANDARD: ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz will die Abgabenquote in Österreich deutlich senken, von 43 auf unter 40 Prozent. Das fordern auch andere Parteien wie die FPÖ oder die Neos. Ist das aus Sicht der OECD ein richtiges und vordringliches Ziel?

Kastrop: Es kommt nicht unbedingt darauf an, die Abgabenquote zu senken. Es kommt vor allem darauf an, das Gesamtsystem an Steuern- und Sozialabgaben möglichst wachstums- und nachhaltigkeitsfreundlich zu gestalten. Dazu gehört auch die Steuergerechtigkeit.

STANDARD: Was ist wachstumsfreundlich und nachhaltig?

Kastrop: Auf der Steuerseite kann Nachhaltigkeit etwa dadurch gefördert werden, dass Sozialabgaben in bestimmten Bereichen gesenkt werden. Dadurch können schwächere Gruppen in der Gesellschaft gefördert werden. Die zunehmende Ungleichheit, die wir in vielen Ländern beobachten, kann aber auch durch eine aktive Arbeitsmarktpolitik reduziert werden. Auf der Ausgabenseite braucht es dazu Bildung, Innovation, Forschung und Entwicklung. Das kann dann auch mal Geld kosten und trotzdem gut für das Wachstum sein.

STANDARD: An wem soll sich Österreich orientieren?

Kastrop: Wenn es darum geht, den Arbeitsmarkt voll zu erschließen, sind sicher die skandinavischen Länder führend. Von ihrem "Flexicurity"-Konzept – nicht den individuellen Job, sondern die Arbeitnehmer zu schützen – kann sich auch Österreich etwas abschauen.

STANDARD: Diskutiert wurde in Österreich zuletzt auch, ob wir uns an Hartz IV in Deutschland orientieren sollen. Haben wir Handlungsbedarf bei den Anreizen für Arbeitslose, Jobs anzunehmen?

Kastrop: Es braucht immer beides: fordern und fördern. Das war die These in Deutschland, und das gilt auch für Österreich. Wichtig ist auch ein funktionierender sozialer Dialog, hier ist Österreich durchaus führend. Arbeitsmärkte entwickeln sich aber dynamisch – auch vor dem Hintergrund der Migration. Daher muss man immer wieder überprüfen, was andere gut machen und was man vielleicht abkupfern kann.

STANDARD: Große Steuerentlastungen müssen immer gegenfinanziert werden. Da hören wir bisher nur Schlagworte wie Verwaltungsreform, Förderungen oder Sozialleistungen für Ausländer. Ist es so einfach, die großen Milliardenbeträge zu finden?

Kastrop: Aus Sicht der OECD ist vor allem wichtig, nicht bei wachstumsfördernden Ausgaben zu kürzen. Hier gibt es keine endgültige Liste, aber die Bereiche Forschung und Entwicklung, Bildung oder produktive Investitionen gehören mit Sicherheit dazu. Es geht immer um eine intelligente Verknüpfung von staatlichen Investitionen und Konsumausgaben. Viele Länder haben in der Krise in den falschen Bereichen gespart, bei den hochproduktiven Investitionen, dazu gehört Österreich durchaus auch. Auf der anderen Seite muss man natürlich die staatliche Effizienz immer auf den Prüfstand stellen. Man kann etwa die Frage stellen: Müssen fünf Ministerien Forschung fördern oder könnte man das nicht bündeln? Da kann man sicher Geld einbringen.

STANDARD: Die Frage ist immer, wie viel man holen kann.

Kastrop: Das stimmt schon. Man sollte nicht glauben, dass durch Einsparungen in der allgemeinen Verwaltung Reichtümer unendlichen Ausmaßes entstehen. Für Österreich möchte ich aber auch auf die vermögensbezogenen Steuern hinweisen, also etwa Erbschaftssteuern. Viele Länder sind hier zu niedrig, Österreich gehört zu jenen, die besonders niedrig sind. Dasselbe gilt für ökologische Steuern. Wenn man also bei den Sozialabgaben und wachstumsschädlichen Steuern entlasten will, sollte man sich auch die vermögensbezogenen Steuern zur Gegenfinanzierung anschauen.

STANDARD: Also eher umschichten als Steuern senken?

Kastrop: Ich möchte nur vor zu viel Optimismus warnen, dass man allein mit mehr Effizienz eine groß dimensionierte Steuer- und Abgabenreform finanzieren kann. Die Erfahrung der OECD zeigt: Meistens wird man auch umschichten müssen.

STANDARD: Großes politisches Thema sind auch die erwähnten Sozialleistungen für Zuwanderer und Flüchtlinge. Hier gibt es immer wieder die Forderung nach Kürzungen.

Kastrop: Das ist eine schwierige Frage, die politisch sehr aufgeladen ist. Bei jenen Migranten, die im Land bleiben, sollte aber alles unternommen werden, um sie schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das ist für alternde Gesellschaften wie Deutschland und Österreich absolut notwendig. Integration gibt es aber nicht umsonst. Daher sollte man bei Migranten nicht sparen. Nur wenn man diejenigen, die auf Dauer bleiben, fördert, werden sie dem Staat langfristig nicht auf der Tasche liegen. Anders verhält es sich bei denen, die nicht im Land bleiben dürfen. Das ist aber eher eine juristisch-verwaltungstechnische Frage. Hier ist es natürlich legitim, dass man möglichst schnell Rückführungen in die Heimatländer durchführt. (Günther Oswald, 9.6.2017)