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Seit Monaten gehen die Venezolaner gegen ihren sozialistischen Präsidenten Nicolás Maduro auf die Straße. Es herrscht Hunger, die Medikamente gehen aus. Daran verdienen Banken und Spekulanten.

Foto: Reuters/Carlos Garcia Rawlins

Caracas – Wo viel Risiko ist, lauert auch viel Gewinn – das ist eine der Faustregeln der Finanzwelt. Und angesichts der lauen Renditen in den Industrieländern sind Schwellenländer-Bonds (EMBI+) derzeit äußerst attraktiv für Anleger. Aber ist es auch moralisch, sich auf Kosten der Bevölkerung armer Länder die Taschen zu füllen? Diese Frage hat Ricardo Hausmann in dem Artikel "Die Hungeranleihen" aufgeworfen.

Beachtung fand der Beitrag, weil es sich bei Hausmann nicht um einen Aktivisten in Jesuslatschen handelt, sondern um einen Harvard-Ökonomen und ehemaligen Mitarbeiter der Interamerikanischen Entwicklungsbank. Konkret geht es in seinem Artikel um ein Geschäft der US-Investmentfirma Goldman Sachs. Diese hat für 865 Millionen US-Dollar Schuldscheine der staatlichen venezolanischen Erdölfirma PDVSA gekauft. Die Anleihen gab es wegen des Ausfallrisikos mit hohem Abschlag; zum Fälligkeitstermin 2022 müsste Venezuela den Nominalwert von 2,8 Milliarden US-Dollar zahlen – ein satter Gewinn für Anleger. Venezuela genießt in der Finanzwelt – trotz 47 Milliarden Dollar (42 Milliarden Euro) Auslandsschulden – einen guten Ruf. Mit einer so drastischen Umschuldung wie einst in Argentinien rechnet kaum einer, weil dann die Erdölexporte und diverse Aktiva im Ausland wie Raffinerien gerichtlich beschlagnahmt werden könnten.

Militär und Geld

Hintergrund ist die Krise im Erdölstaat. Der durch Proteste bedrängte Präsident Nicolás Maduro versucht sich mit allen Mitteln an der Macht zu halten. Dazu braucht er zweierlei: das Militär und Geld. Letzteres ist mit dem Erdölpreisverfall knapp geworden. Die sozialistische Mangelwirtschaft hat die Lage noch verschärft. Durch Enteignungen und staatliche Kontrollen liegt der Produktionsapparat darnieder; rund 8.000 Firmen haben dichtgemacht. Das Erdöl, das 95 Prozent der Deviseneinnahmen liefert, ist zum Großteil an befreundete Bruderländer verpfändet, wird eingetauscht oder gestundet. Der einzige Kunde, der noch bar bezahlt, sind die USA.

Gleichzeitig ist die Produktion durch mangelnde Wartung und Ineffizienz von einst drei Millionen auf 1,9 Millionen Fass pro Tag gesunken. Die Einnahmen reichen nicht mehr aus, um die Importe – vor allem Nahrungsmittel und Medikamente – zu finanzieren; sie sind seit 2012 um 75 Prozent geschrumpft. Das hat Folgen: Die Kindersterblichkeit ist laut einer Studie der Caritas um elf Prozent gestiegen, im Schnitt haben die Venezolaner neun Kilogramm an Gewicht verloren.

Hungernde Bevölkerung

"Wer in EMBI+ investiert, muss sich freuen, dass die Venezolaner hungern, damit die Regierung ihre Schulden bedienen kann", schreibt Hausmann. "Selbst wenn er hofft, dass Maduro stürzt, wird er der Zahlung seiner Papiere Vorrang vor dem Wiederaufbau des Landes einräumen. Und er wird sich auch freuen, wenn US-Richter im Falle eines Zahlungsausfalls venezolanische Güter beschlagnahmen. Fondsmanager haben die Opposition bereits bedroht, sollte sie eine Umschuldung auch nur in Betracht ziehen." Jeder, der venezolanische Staatsschuldpapiere habe, müsse angewidert von sich selbst ein. Venezolanische Bonds stellten zwar nur fünf Prozent der Anleihen im Index, aber 20 Prozent der Gewinne.

Die bürgerliche Opposition, die seit Monaten gegen die autoritäre Regierung auf die Straße geht, um Wahlen zu erzwingen, protestierte scharf. Damit verschafften Finanzspekulanten dem autoritären Regime Luft, kritisierte Parlamentspräsident Julio Borges.

Spekulationen

Goldman Sachs erklärte, man habe die Anleihen über einen dritten Broker und nicht direkt von Venezuela gekauft, weil man glaube, dass sich die Situation verbessere. Die Investmentbank ist bei weitem nicht die einzige, die mit der Krise in Venezuela spekuliert. Auch Fidelity Managements und Black Rock halten venezolanische Bonds; der japanische Fonds Nomura soll kürzlich ebenfalls Papiere für 100 Millionen gekauft haben. Die Schweiz ist etwas anders, aber ebenfalls gut im Geschäft. Laut der letzten verfügbaren venezolanischen Außenhandelsstatistik von 2014 ist sie der zweitwichtigste Handelspartner der Regierung nach den USA mit Exporten im Wert von 336 Millionen US-Dollar. Schweizer Statistiken erhellen, worum es dabei geht: Gold.

Seit 2014 verzeichnen die Handelsbilanzen und der Internationale Währungsfonds (IWF) Swap-Geschäfte, bei denen die venezolanische Zentralbank einer anderen Bank gegen Devisen Goldreserven leiht. 2016 gelangten demnach über 100 Tonnen Gold im Gegenwert von 3,2 Milliarden Euro in die Schweiz.

Auch die Deutsche Bank war offenbar interessiert. Doch als die Opposition davon Wind bekam, wandte sich Borges in einem Brief an Deutsche-Bank-Chef John Cryan und verlangte von ihm, das Geschäft abzulehnen, da er sich sonst zum Förderer einer Diktatur mit "Verbindungen zu Drogenhandel und Terrorismus" mache.

Das halbe Gold ist weg

Seit 2015 hat Venezuela bereits die Hälfte seiner einst 361 Tonnen Gold verkauft oder verpfändet. Die Zentralbank beziffert den Wert der noch vorhandenen Reserven auf 7,7 Milliarden US-Dollar, schreibt die Zeitung El Nacional.

Um das Geschäft mit dem Hunger der Venezolaner zu unterbinden, schlägt Hausmann vor, Venezuela aus dem EMBI+ zu nehmen. Das löse das Dilemma der Fondsmanager, ohne andere Schwellenländer zu bestrafen. Die US-Investmentbank JP Morgan, die den Index erstellt, solle darin nur Länder aufnehmen, die minimale demokratische und menschenrechtliche Standards erfüllten, forderte Hausmann. Es wäre ein Novum. (Sandra Weiss, 19.6.2017)