Er möge in Frieden ruhen: Das Gezerre rund um Helmut Kohl ist wie eine makabre Daily Soap, die man gleichermaßen gebannt und angeekelt verfolgt. Da werden persönliche und politische Feindschaften ausgetragen, die über den Tod des deutschen Altkanzlers hinausgehen.

Ein menschliches Drama ist der Umgang der jungen Witwe Maike Kohl-Richter mit den Söhnen und Enkelkindern. Dass ihnen sogar von der Polizei ein Besuch im Elternhaus verweigert wird, zeugt von einem persönlichen Rachefeldzug. Dass der langjährige Bild-Chefredakteur Kai Diekmann als Dauertrauergast nicht von ihrer Seite weicht, ist ein weiterer merkwürdiger Aspekt. Die höchstpersönlichen Familiengeschichten sind erstmals in Zusammenhang mit dem Freitod seiner Frau Hannelore 2001 an die Öffentlichkeit gelangt. Dass er nicht einmal seinen Söhnen die Todesnachricht persönlich überbrachte, sondern dies seine Sekretärin erledigen ließ, zeigt das menschliche Scheitern dieses großen Politikers.

Europäischer Ausnahmepolitiker

All das schmälert nicht die Verdienste Kohls, der zu den großen Kanzlern Deutschlands gehört und in eine Reihe mit Konrad Adenauer und Willy Brandt zu stellen ist. Er war ein Ausnahmepolitiker in Europa, weshalb für ihn ein erstmals auszurichtender europäischer Trauerakt am 1. Juli angemessen ist. Denn nicht nur die deutsche Wiedervereinigung, die Kohl, die Gunst des Augenblicks nutzend, mit sicherem Instinkt durchgezogen hat, ist sein bleibendes Erbe, sondern auch Fortschritte bei der europäischen Integration.

Die deutsche Wiedervereinigung war ein Projekt, das es politisch zu managen galt und Kohl auch die Wiederwahl 1990 sicherte. Die meisten Bürger mussten nicht davon überzeugt werden, sondern wollten dies. Der CDU-Politiker traf jedoch nachhaltige, fatale Fehlentscheidungen: etwa bei der Privatisierung ostdeutscher Betriebe oder mit dem 1:1-Umtauschkurs. Ihm ist aber zuzugestehen, dass es kein Best-Practice-Beispiel gab und man hinterher immer klüger ist.

Mitverantwortung an Eurokrise

Anders verhält es sich mit dem Euro. Kohl wusste, dass eine stärkere Verzahnung der Wirtschaftspolitiken der Mitgliedsländer unabdingbare Voraussetzung für eine gemeinsame Währung ist, er entschied sich jedoch politisch dagegen. Dabei gab es keinen Zeitdruck wie nach dem Fall der Mauer. Deshalb ist Kohl für die Krise in der Eurozone mitverantwortlich. Auch das gehört zu seinem Vermächtnis.

Zu seinen Verdiensten gehört, dass er von Marktplatz zu Marktplatz zog, um den Deutschen zu erklären, warum sie von der D-Mark Abschied nehmen mussten. Er sah dies als Bringschuld für Europa an. Dass aber die europäische Gedenkfeier von Kohls Freund Jean-Claude Juncker und dessen Witwe auch eingefädelt worden ist, um einen Staatsakt in Deutschland zu verhindern, zeigt die Auswirkungen von politischen Feindschaften über den Tod hinaus. An der Spitze eines solchen Aktes wäre Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gestanden, der als SPD-Minister Untersuchungen, ob Kohl am Ende der Amtszeit Akten hat vernichten lassen, veranlasst hat. Widersprüchliche Angaben gibt es dazu, ob die Witwe mit der Gedenkfeier in Straßburg Kanzlerin Angela Merkel, die sich wegen der CDU-Spendenaffäre von Kohl distanziert hat, als Rednerin verhindern wollte.

All das ist ein unwürdiges Spektakel, das sich Kohl nicht verdient hat. Aber das er mitverursacht hat. (Alexandra Föderl-Schmid, 23.6.2017)