Wird "lebendig", wenn man als Betrachter davorsteht: dieses Bild aus Jonny Niesches Serie "Cosmic Plates" (2017).

Courtesy of Jonny Niesche and Zeller van Almsick / Foto: Jessica Maurer

Wenn man sagt, ein Kunstwerk halte Betrachtern einen Spiegel vor, ist das meist metaphorisch gemeint. Ganz wörtlich zu nehmen ist diese Wendung jedoch für die Arbeiten des Künstlers Jonny Niesche, die derzeit in der Wiener Galerie Zeller van Almsick zu sehen sind. Die minimalistischen Bildtafeln des 1973 in Australien geborenen Künstlers binden Spiegel ein – so, dass für Betrachter (fast) kein Weg daran vorbeiführt, sich selbst beim Schauen zuzuschauen.

Man erblickt sich aber nicht ganz in jener Form, in der man es gewohnt ist. Niesche überspannte die Glasflächen mit einem feinen Polyestergewebe, das in psychedelischen Farben bedruckt ist. Man findet sich als Schatten mitten in seinen an Mark Rothko erinnernden Farbflächenbildern wieder. Hinzu kommt ein weiterer "Special Effect": Zwischen dem feinmaschigen Textilüberzug und dessen Spiegelung ergibt sich ein Moiré-Effekt. So wird das Phänomen genannt, wenn sich durch die Überlagerung zweier (Raster-)Muster ein weiteres ergibt.

Bilder in Bewegung

Je nach Blickwinkel variiert dieses Muster, legt sich als Flirren über das Konterfei des Betrachters, verändert sich mit jedem Schritt. Und genau hierin liegt auch das Konzept Niesches, der bei Zeller van Almsick seinen ersten Österreich-Auftritt hat: Seine Bilder verstehen sich als "performative Erfahrung". "Ereignisse" sollen sie sein, insofern sie Betrachter und Raum einbeziehen.

Nun haben diese hübschen Sinneserlebnisse freilich ihre Vorgänger in der Kunstgeschichte. Sie sind Enkerln der "kinetischen Kunst", die sich spätestens ab Mitte des 20. Jahrhunderts mit der Frage befasste, wie die Statik der Malerei zu überwinden sei. Die Antwort fand man in beweglichen Bildelementen, aber auch in Arbeiten, die auf der Bewegung des Betrachters beruhen. Man denke etwa an Marc Adrians Kompositionen, bei denen geriffeltes Glas vor dem Bild dafür sorgt, dass sich dessen Erscheinung mit jedem Blickpunktwechsel ändert.

Einfluss der Gruppe Zero

Für Niesche ist ein wichtiger Einfluss dabei die deutsche Gruppe Zero, die in den 1960er-Jahren mit auf Licht, Raum und Bewegung konzentrierten Arbeiten zur Erneuerung der Kunst antrat. Auf Otto Piene, einen der Zero-Gründer, bezieht sich Niesche explizit: Total Vibration hatte Piene eine Arbeit genannt, Mutual Vibration heißt eine Niesches. Es handelt sich um eine frei im Raum hängende riesige Bildtafel, die in Drehung versetzt werden kann und Betrachtern dann abwechselnd ein Farbverlaufsbild und eine vergoldete Spiegelfläche entgegenhält.

Dass es Niesche jedoch nicht nur auf wahrnehmungspsychologische und kunsttheoretische Fragen ankommt, erfährt man aus einem Interview mit dem Online-Journal Collectors Agenda. So ist die goldene Färbung des Spiegels etwa inspiriert vom auffälligen Johann-Strauß-Denkmal im Wiener Stadtpark. Dieses habe sich (nicht zuletzt als Inbegriff der Pompverliebtheit der Stadt) in sein "Hirn gebrannt", sagt Niesche, der 2012 erstmals nach Wien kam, um an der Akademie der bildenden Künste bei Heimo Zobernig ein Austauschsemester zu absolvieren. Und zugleich ist die Drehung des Spiegels eine Anspielung auf den Wiener Walzer, den Betrachter hier mit der Kunst tanzen können (Roman Gerold, 1.7.2017)