Ein unter prächtigen Perücken dahinsiechender König Ludwig XIV. gibt seinem Nachfolger ein paar Ratschläge mit auf den Weg: Jean-Pierer Léaud in Albert Serras Film um sterbliche Körper und symbolische Macht, "Der Tod von Ludwig XIV.".

Filmgarten

Wien – Völlig allein ist der Sonnenkönig nur mitten in der Nacht. Von Schmerzen geplagt, von Durst gepeinigt, ruft er seinen Diener nach Wasser. Es dauert, bis sich etwas tut. Nach einer Weile erscheint der Falsche in den fast lichtlosen Gemächern und serviert das erlösende Getränk nicht im Kristallglas, wie es Sire gewohnt ist. Ein kleiner Fehler in einem großen Apparat, der jedoch nicht von geringer Bedeutung ist. Der König wird sterben, die Verunsicherung, ja wachsende Unordnung, die damit einhergeht, breitet sich in Versailles bis in die schmalsten Fugen aus.

La mort de Louis XIV (Der Tod von Ludwig XIV.) von Albert Serra entwirft das langsame Dahinsiechen des Königs als ein Kammerspiel, wie es im Kino noch keines gegeben hat. Alles konzentriert sich auf das Bett des Souveräns, aus dem er in den nächsten zwei Filmstunden allenfalls kurz (und dann nur mit fremder Hilfe) hochkommen wird. Der absolutistische Monarch, dessen Aufstieg Roberto Rossellini in Die Machtergreifung Ludwigs XIV. (1966) noch als minutiöses Machtspiel darstellte, ist bei Serra still, hat schlechten Appetit und leidet an einem nekrotischen Fuß, der im Verlauf des Films immer schwärzer wird.

Solange er atmet, verkörpert er sein Amt

Doch Louis ist auch ein Diener seines Landes, weshalb der Bemitleidenswerte nicht wie andere Kranke sein Leiden mit sich alleine ausmachen kann. Nein, hier wird jede Regung verzeichnet, jeder Löffel, den Louis zu sich nimmt, als hoffnungsvolles Signal gewertet. Der halbe Hof kommt an dieses Bett, Ärzte, Priester, Anverwandte oder Gäste aus dem Ausland wie der Duke of York, der sich mit finanziellen Begehrlichkeiten an ihn wendet.

Mit überbordender Perücke, die das zittrige, immer blässer werdende Gesicht noch schmäler macht, hält der König die Stellung. Solange er atmet, verkörpert er sein Amt. Die Macht hat hier ihren angestammten Platz. Doch was geschieht mit einer symbolischen Autorität, wenn der, in dem sie wohnt, langsam, vor aller Augen verfault? Aus dieser Diskrepanz formt Serra das Drama seines außerordentlichen Films, der trotz seines Sterbethemas nicht ganz ohne ironische Momente bleibt.

Trailerloop

Serras Kino ist eines, das sich nicht für trickreiche Plots interessiert, sondern für szenische Zwischenräume, für das Übersehene, Verschmähte, Nebensächliche. Scheinbar gut abgegriffene Figuren, historisch oder fiktional, erweckt er mit karger Ästhetik so zu neuem Leben. Schon in seinem Debüt Honor de cavalleria hat der Katalane Don Quichotte als "armes Kino" in sonnendurchtränkter Natur inszeniert, was dem Schelmenroman eine Art heiligen Wahnsinn verliehen hat. In Història de la meva mort hat er sich zuletzt eine Begegnung des alten Casanova mit Dracula vorgestellt.

Ein Leben für das Kino

La mort de Louis XIV war ursprünglich als Performancestück für das Pariser Centre Pompidou geplant. Der Coup des Films ist es nun, dass Serra mit Jean-Pierre Léaud den König der Nouvelle Vague für die Hauptrolle gewinnen konnte. Bereits mit 15 Jahren war er in François Truffauts Sie küssten und sie schlugen ihn zu sehen – ein Leben für das Autorenkino, das ganz bewusst auch den Vergleich mit Louis' 72 Jahren auf dem Thron von Frankreich sucht.

Léauds Gesicht ist fraglos das Zentrum des Films, sein Kristallisationspunkt. Durch seinen bald durchbohrenden, bald nach innen gekehrten Blick, die geflüsterten Sätze, die späten Wehklagen, das scheue Lächeln, als der Klang einer Feier an sein Ohr dringt, wird das rege, ehrfürchtige, ratlose Treiben um ihn herum erst wirklich. Die Ärzte können die Krankheit dieses Mannes nicht richtig lesen. Serras Film profitiert davon, denn seine stillen, anmutigen Bilder verleihen diesem Abschied Glanz, indem sie einen König ganz langsam wieder zu einem Körper machen. (Dominik Kamalzadeh, 1.7.2017)