Der Norweger Jan Garbarek setzt nach wie vor auf sparsame Soli und Schönklang. Es gab aber tolle Ausbrüche aus der Routine.


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Wien – Der elegische Norweger Jan Garbarek darf seit nun schon ewigen Zeiten als Euromeister der improvisatorischen Verknappung gelten. Das ist ein Kompliment: Mit wenigen Noten Markantes auszudrücken, statt mit sehr vielen wenig (bis gar nichts), vermögen nur edelste Jazzköpfe.

Nun hat Garbarek allerdings seine Ästhetik des Minimalismus – vergoldet mit einem eizigartigen Saxofonton, der Hymnisches und Schmervoller vereint – zur Perfektion mit seltsamen Konsequenzen getrieben. Schon vor Jahren drängte sich die bange Frage auf, ob Garbarek bei Konzerten bald nur noch ein bis zwei Noten pro Stück zelebrieren wird, um als instrumentaler Orpheus – sein Ideal ist die menschliche Stimme – in Schönheit zu erstarren.

Im Arkadenhof des Wiener Rathauses geht es dann allerdings nicht mehr so rigoros zu: Mit Pianist Rainer Brüninghaus, Percussionist Trilok Gurtu und Bassist Brasilianer Yuri Daniel verbreitet Garbarek mit knappen Themen und malerischer Schmuseharmonik zwar die bekannte idyllische Form imaginärer Folklore, welche die Band überwiegend wie eine disziplinierte Schönspieldose wirken lässt.

Immerhin aber erlaubt sich Garbarek belebende Ausflüge in seine Vergangenheit, als er etwa in hitzigen Dialogen mit Pianist Keith Jarrett an Ausdrucksgrenzen ging. Da sind markante Stakkati, prägnante kurze Linien. Und wie er zum Duett mit dem Schlagwerk ansetzt, bricht Garbarek gänzlich und energisch aus seiner Schönheitslehre aus. Die rasenden Phrasen eines expressiven Spielzustands erinnern plötzlich an den späten John Coltrane. Ob des speziellen Instrumentaltones bleiben sie natürlich unverkennbar Garbarek; Eleganz und Expressivität werden quasi bei hoher Temperatur verschmolzen.

Ähnlich Pianist Brüninghaus, schon ewig mit Garbarek verbunden: In einer Solopassage zeigte er, wie viel Substanz er als Begleiter kaschiert. Mit einer irrwitzig beschleunigenden Dekonstruktion diverser Jazztraditionen offenbart sich Brüninghaus als expressiver Virtuose, der in den komponierten Elegien nicht zur Geltung kommt, da er auf "Watteharmonik" fixiert scheint.

Fazit: Stil zu besitzen, ist im Jazz fast schon die ganze Miete. Garbarek hat ihn, sein Bandsound auch. Beim Norweger wird aber offenbar, dass Stil auch Erstarrung bringen kann. Zudem schwingt das Gefühl mit, hier würde einer wesentliche Teile seiner Möglichkeiten ausklammern. Bis auf ein paar dynamisch-erhellende Augenblicke immerhin. (Ljubisa Tosic, 10.7.2017)