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Bei Therapien gegen Kaufsucht geht dabei um partielle Abstinenz, die Behandlung von Problemen wie Depression und die Neugestaltung des Leben.

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Wien – Der Akt des Kaufens bringt den Kick. Geshoppt wird wahllos. Das meiste Erworbene stapelt sich unausgepackt in den eigenen vier Wänden. Auf wenige Augenblicke der Befriedigung folgt der emotionale Absturz. Er verlangt einen erneuen Kick, diesen wiederum verschafft nur zügelloses Einkaufen.

Jeder neunte ist kaufsüchtig, zeigt eine aktuelle Studie der Arbeiterkammer Wien. Kaufsucht kommt vor allem bei denen vor, die oft im Internet einkaufen.



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"Kaufsucht ist eine schwere Erkrankung", sagt Michael Musalek, ärztlicher Direktor des Wiener Anton-Proksch-Instituts. Sie sei vielfach in Depressionen, Angst- und Schlafstörungen eingebettet. Der Kontrollverlust über eine normale Handlung, die jeder andere offenbar im Griff habe, werde als besonders schamvoll erlebt. Mit der Folge, dass sich nur wenige Betroffene in eine Therapie wagten und sich stattdessen in einem Lügengeflecht verfingen. "Kaufsucht ist stark stigmatisiert", resümiert Musalek, "und sie wird nach wie vor nicht ernst genommen."

Elf Prozent der Österreicher leiden unter psychisch krankhaftem Einkaufsverhalten, erhob eine aktuelle Studie des Gallup-Instituts unter 1000 Konsumenten im Auftrag der Arbeiterkammer. 2011 lag der Anteil noch bei acht Prozent. Rund ein Viertel von ihnen hat sich infolge verschuldet, teilweise in Höhe von bis zu 10.000 Euro.

Jung und weiblich

Tatsächlich sei der Anteil jener, die durch Kaufsucht in die finanzielle Bredouille getrieben werden, höher, vermutet Musalek, der alle Daten dazu ob ihrer Sensibilität lieber vorsichtig interpretiert. Für gefährdet, in ein problematisches Einkaufsverhalten abzugleiten, hält sich derzeit nämlich nur ein Viertel der Befragten; es sind weniger als vor fünf Jahren.

Unbestrittener ist: Kaufsucht ist jung und weiblich. Und sie erhält durch Einkaufsmöglichkeiten, die sich online eröffnen, zusätzlichen Nährboden. "Jeder hat damit praktisch ein Geschäft in der Handtasche", sagt Musalek. Das Internet beschleunige Konsum; die Sorge, sich an der Kassa zu schämen, falle weg. "Die Suchtmittel sind besser verfügbar." In der Regel führe das auch zu mehr Abhängigen.

21 Prozent der 15- bis 24-Jährigen gelten als kaufsüchtig, es sind doppelt so viele wie 2011. Unter bis zu 44-Jährigen sind 17 Prozent der Konsumenten betroffen, dann sinke der Anteil rapide, sagt Studienautorin Nina Tröger. Unter Frauen wiesen 14 Prozent das Krankheitsbild auf, unter Männern sieben Prozent. Unkontrolliert in großem Stil gekauft werde vor allem Kleidung und Elektronik. Bargeldloses Zahlen sei ein zusätzlicher Motor, ebenso die Möglichkeit zu Ratenzahlungen.

Mehr Finanzausbildung

Gabriele Zgubic, Konsumentenschutzexpertin der Arbeiterkammer, drängt auf mehr Finanzausbildung an Schulen. Stärker in die Pflicht zu nehmen sei jedoch auch der Handel: "Anbieter müssen bei Bonitätsprüfungen genauer hinsehen." Das freilich sei leichter gesagt als getan, gibt Rainer Will, Chef des Handelsverbands, auf Anfrage des STANDARD zu bedenken: Datenschutzvorgaben ließen keine tieferen Einsichten in die Finanzen der Kunden zu. "Wir sind gern bereit, präventiv zu arbeiten, aber auch technisch gesehen sind uns hier klare Grenzen gesetzt."

Therapien gegen Kaufsucht gibt es in Österreich seit zehn Jahren. Es geht dabei um partielle Abstinenz, die Behandlung von Problemen wie Depression und die Neugestaltung des Lebens. Was ist die beste Vorbeugung? Musalek: "Füllen Sie Ihr Leben mit anderen vielfältigen Freuden." (Verena Kainrath, 13.7.2017)