Auf dem Dach der Wiener Wirtschaftsuniversität inspiziert Matthias Kopetzky (rechts) eine Wabe, Christoph von Berg macht es ebenso und verzichtet dabei auf einen Schutzanzug, wie Pina Koller ihn trägt.

Foto: Jakob Pallinger
Jakob Pallinger
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Wien – Ein Paar Arbeitshandschuhe, drei Schutzanzüge, sieben weiße Kisten, zwei Kanister, ein Eierkarton und ein kleiner Besen liegen auf dem Boden. Davor stehen fünf Holzkisten, mit je einer Öffnung an der unteren Kante. Geht man mit dem Ohr nahe genug heran, ist ein gleichbleibendes Summen zu vernehmen. "Hoffen wir, dass sie heute nicht grantig sind", sagt Matthias Kopetzky. Er nimmt einen silberfarbenen Kessel, den Smoker, und löst die Zurrgurte der Kisten. "Fangen wir bei den Schwächsten an." Der Rauch des Smokers soll die Bienen vom Angreifen abhalten.

Kopetzky selbst trägt nur Hemd, Jeans und Sportschuhe. Seinen Schutzanzug hat er in der Kiste gelassen. Mit einer Spachtel zieht er den ersten Rahmen heraus: Dutzende Bienen wandern über jeden Zentimeter der gelben Wabe. Erst als Kopetzky die Wabe abschüttelt, fliegen sie in alle Richtungen.

Zwischen Campus und Würstelprater

"Au! Mich hat eine gestochen!", schreit Pina Koller, die mit dem kleinen Besen die Wabe von den restlichen Bienen befreit. "Still stehenbleiben und nicht zu viel herumfuchteln", rät Kopetzky und fügt hinzu: "Bienenstiche sind an und für sich sogar gesund, sofern man nicht allergisch ist." Die 30-Jährige zieht sich trotzdem lieber den Schutzanzug über. Für sie es heute die erste Honigernte.

Zuvor hat sie mit Kopetzky und Christoph von Berg, der heute ebenfalls zum ersten Mal erntet, die Ausrüstung aufs Dach der Wirtschaftsuniversität Wien getragen. Denn dort befinden sich Kopetzkys Bienenstöcke. Auf der einen Seite blickt man auf die modernen Fassaden des Campusgeländes, auf der anderen Seite auf den Würstelprater. Auf dem Dach würden die Bienen von den Menschen und die Menschen von den Bienen nicht gestört, sagt Kopetzky.

Honig aus Wien

Kopetzky leitet mit seiner Schwägerin die Bezirksimkerei, ein Unternehmen, das in jedem Wiener Gemeindebezirk Honig produziert. Bienenstöcke stehen etwa auf dem Dach des Landwirtschaftsministeriums im ersten, der Bauernkrankenkasse im dritten, der Technischen Universität im vierten und des Hotels Ibis im fünften Bezirk. Die Bienen haben einiges zu tun, denn in Wien blüht es nicht nur im Prater und rund um die WU, sondern auch im Augarten, im Stadtpark, im Belvederegarten und in Schönbrunn sowie auf zahlreichen Balkonen und in Schrebergärten. Wien sei die Stadt mit der höchsten Biodiversität in Österreich, sagt Kopetzky.

So sieht es auch Doris Post vom Verein Stadtimker: Im Vergleich zum Land gebe es in der Stadt noch viele Flächen, die blühen. Außerdem fallen in der Stadt die Pestizide und Spritzmittel weg. In der Landwirtschaft gebe es laut Deutschem Imkerbund viele Monokulturen wie Raps, die nur kurz blühen. Mit dem zusätzlich wärmeren Stadtklima können die Bienen länger schwärmen. Der Honigertrag sei in der Stadt daher fast doppelt so hoch.

5.300 Bienenvölker leben in Wien

Während auf dem Land weiterhin alteingesessene Imker den Markt kontrollieren, ist in der Stadt eine Generation leidenschaftlicher Hobbyimker herangewachsen. Seien vor zehn Jahren noch 400 Imker beim Landesverband für Bienenzucht in Wien angemeldet gewesen, sind es heuer bereits 740, sagt dessen Präsident Albert Schittenhelm. Der Großteil seien Hobbyimker wie Pina Koller, die an Bienen interessiert sind und sich in der Imkerei probieren möchten. Seit dem großen Bienensterben vor zehn Jahren hätten viele begonnen, sich wieder für Bienen einzusetzen, so Schittenhelm. Über 350.000 Bienenvölker gibt es laut Österreichischem Imkerbund in Österreich, etwa 5.300 sind es in Wien, die meisten – 81.000 – in Oberösterreich.

Großer Bedarf an Imkern

Es sei aber schwierig, einfach so mit dem Imkern anzufangen, warnt Schittenhelm. Er leitet eine Imkerschule in Wien-Donaustadt mit derzeit 150 Auszubildenden. Der Bedarf an neuen Imkern sei weiterhin groß, so Schittenhelm. Immerhin sei das Wichtigste nicht die Honigproduktion, sondern die Bestäubung der Blüten.

Auch für Pina Koller war es wichtig, einmal Praxiserfahrungen zu sammeln. "Man will am Anfang ja nicht gleich alle Bienen umbringen", sagt die ausgebildete Restauratorin. Gemeinsam mit von Berg und Kopetzky sucht sie die Waben nach der Königin ab. "Gefunden!" Christoph zeigt mit dem Finger auf die größte der Bienen. Kopetzky markiert sie mit einem Stift, um sie später leichter wiederzufinden. Nach zwei Stunden haben die drei die letzte Wabe aus dem Stock gezogen. Etwa 50 Kilogramm Honig haben sie in dieser Zeit geerntet. Pina kostet: "Leicht herb, schmeckt ein bisschen nach Kastanie." Sie möchte auch einmal Bienenstöcke haben und eigenen Honig herstellen. Der Bienenstich ist längst vergessen. (Jakob Pallinger, 22.7.2017)