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Ein Marktplatz in Neu-Delhi wird zum tödlichen Schauplatz des Terrors: Karan Mahajans Roman erzählt davon, wie das Attentat in der Psyche der Überlebenden weiter spukt.

Foto: Reuters / Anindito Mukherjee

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Der US-indische Schriftsteller Karan Mahajan.

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Wien – Das Codewort lautet ausgerechnet Schokolade. Um nicht aufzufallen, sprechen Terroristen von der Glück befeuernden Nascherei, wenn sie eigentlich Bomben meinen. Und das ist nicht das einzig Überraschende an Shockie und Malik, dem Bomben legenden Duo aus Karan Mahajans Roman. Er ermöglicht einen näheren Blick auf jenes Gewerbe, welches in den letzten Jahren zu so etwas wie dem ultimativ Bösen wurde.

Malik beispielsweise, der Theoretiker der beiden: Er nährt seinen politischen Widerstand mit Lektüren von Tolstoi, Puschkin, und ja, sogar Gandhi; sein Kumpel, das Bomben-Ass, hat dagegen in Ramzi Yousef sein Vorbild, in jenem Mann, der den ersten Anschlag auf das World Trade Center 1993 in New York verübt hat und daraufhin erste Klasse zurückflog.

Die beiden sind jedoch weniger prominent, eher lokales Fußvolk im Terrorfach. Ihr Anschlag auf einen belebten Marktplatz in Delhi, der auch erst beim zweiten Versuch gelingt, gibt In Gesellschaft kleiner Bomben den erzählerischen Wirkkreis vor. Die Detonationswelle der 1996 verübten Attacke, bei der 13 Menschen ums Leben kommen, bestimmt sozusagen den Radius des Geschehens: Zuerst erfolgt die Explosion, dann sammelt Karan Mahajan die Trümmer auf und widmet sich im Detail den Lücken und Nachwirkungen, die sie in den Leben der Betroffenen hinterlässt.

Diese Konzentration auf einen spezifischen Schauplatz ist eine der großen Stärken des in den USA mehrfach ausgezeichneten Romans des 33-jährigen Autors. Mahajan beschäftigt sich nicht mit schemenhaften IS-Terroristen und deren globalem Kampf, sondern mit der Unterliga. Es geht um muslimische Terroristen, die in Indien aus der Position einer unterdrückten Minderheit agieren und selbst wiederholt Opfer von Gewalt wurden. Das macht ihre Motive keineswegs edler, aber den Konflikt begrenzter und deshalb auch besser beschreibbar. Und es zeigt die zersetzende Kraft, die der Terror in einer ohnehin gespaltenen Gesellschaft freisetzt, besonders anschaulich auf.

Mahajan, der selbst in Neu-Delhi aufwuchs und als Jugendlicher in die USA auswanderte, versteht sich ausgezeichnet auf das Porträt derselben. Das starre Gegenüber von Opfer und Täter interessiert ihn wenig, vielmehr legt er überall Wunden frei. Bei den Khuranas, einer Hindu-Mittelschichtsfamilie, sind sie besonders groß. Sie verlieren gleich beide Söhne, während der mit ihnen befreundete Mansoor, Spross einer muslimischen Familie, überlebt. Den Vater Vikas Khurana, dessen Selbstwertgefühl als mittelmäßig erfolgreicher Dokumentarist ohnehin nicht groß ist, macht die Tragödie zuerst gefühlstaub. Er gibt sich selbst die Schuld.

Mitten ins Persönliche

"Seine Gedanken zog es immer wieder zu der Beschaffenheit der Bombe – Metall, Nägel, Hitze, Feuer, Plastik, Schlamm: Stimmte all das nicht auch irgendwie mit der Beschaffenheit seines Lebens überein? Der zähe Plastikgeruch des Duschvorhangs. Die dreckigen grauen Terrazzo-Fliesen auf dem Boden ..." Mit solchen bildlichen Übersetzungen der Ratlosigkeit seiner Figuren zeigt Mahajan auf, wie das Attentat bis in die Psyche der Figuren reicht. Selbst verbürgte moralische Grundpfeiler werden infrage gestellt.

Die größeren Kapitel von In Gesellschaft kleiner Bomben beschäftigen sich mit jeweils einer Figur beziehungsweise Familie. Damit werden die Gräben, welcher der Terror ins soziale Gefüge reißt, noch deutlicher. Besonders eindrücklich wird dieser Zerfall bei Mansoor, der als Überlebender mit einer ganz besonderen Bürde zu kämpfen hat. Auf umsichtige, berührende Weise zeichnet Mahajan nach, wie der säkular erzogene Jugendliche in die Isolation schlittert. Paradox dann, dass es gerade der Glaube ist, von dem er sich eine Linderung seiner Schmerzen erhofft.

"Was war eigentlich eine Bombe? Ein Mittel zum Trennen, zum Öffnen. Eine Fabrik des Verderbens. Mit kindlicher Freude nahm sie die gewaltsamen Kräfte der Zivilisation und wandte sie auf völlig entgegengesetzte Ziele an." Und nicht nur das: Mahajan demonstriert, wie fatal die Gewalt Bruchlinien und Klassengegensätze, die sie zu bekämpfen vorgibt, noch verstärkt.

Ayub, ein junger Aktivist, den Mansoor bei einer friedlichen Politgruppe kennenlernt, wird zu jenem Protagonisten, mit dem sich der Kreis des Romans am Ende wieder schließt. An ihm zeigt Mahajan den Prozess der Radikalisierung auf. Es ist jedoch kein dämonischer Einflüsterer, der ihn indoktriniert, sondern ein verheerendes Zusammenwirken von sozialer und sexueller Zurückweisung, das ihn zum Extremisten macht: "Andere zu töten und dann sich selbst, ist die gefühlsintensivste Erfahrung, die es gibt." (Dominik Kamalzadeh, 28.7.2017)