Der Künstler und sein Model: Armie Hammer (li.) und Geoffrey Rush in "Final Portrait".

Foto: Filmladen

Wien/Berlin – Nichts genügt seinem hohen Anspruch. Immer wieder fängt er von vorne an. Das Bild wirkt schon selbstständig, lebendig in seinem Geflecht aus Linien, da verlässt ihn die Zuversicht, und das Papier landet zerknüllt auf dem Boden. Die Besonderheit von Final Portrait liegt darin, dass sich dieser Film ganz auf den Blick über die Schulter verlässt und den Künstler bei seinem Schaffensprozess verfolgt; und zugleich bei seinem Wechselspiel der Launen. Aus ein paar Stunden im Jahr 1964 werden 18 Tage.

Stanley Tucci hat kein langatmiges Künstlerbiopic gedreht, sondern ein Kammerspiel mit Pinsel, Leinwand und Flüchen. Er porträtiert Alberto Giacometti, den großen Schweizer Bildhauer und Maler, indem er zeigt, wie dieser einen anderen porträtiert: den US-Autor James Lord, der den Künstler bewunderte. Der Australier Geoffrey Rush spielt Giacometti, sein Gegenüber ist US-Star Armie Hammer.

Filmladen Filmverleih

STANDARD: Giacometti sagt über James Lord, er habe ein brutales Gesicht – das setzt den Ton und den Anfang dieser Beziehung. Was sind Lords Beweggründe?

Hammer: Ich würde sagen: grenzwertige Schwärmerei. James Lord war eine introvertierte Person, und er war ein Voyeur. Er genoss es, zuzuschauen. Er ist bei Giacometti eines Tages einfach vor der Tür gestanden. Das hat er auch schon bei anderen Künstlern gemacht, etwa bei Picasso. Er war neugierig, wollte sehen, wie seine Kunst entsteht. Das ist der Grund dafür, warum er so lange durchhielt. Er hatte Geduld, weil er verstanden hat, was er sieht. Es gab auch eine verwandte Geisteshaltung, denn James hat als Autor wohl ähnliche Prozesse durchlaufen wie Giacometti als Zeichner. Zu einem gewissen Grad kennen Sie das vielleicht selbst ...

STANDARD: Bei Giacometti ist die Unzufriedenheit allerdings obsessiv ausgeprägt ...

Hammer: Deshalb reden wir heute noch über ihn!

STANDARD: Interessant daran ist, dass Schöpfung und Zerstörung bei ihm so nah beisammen lagen.

Hammer: Er hatte keine Macht über seine Bilder, sie wurden unaufhörlich geschaffen und wieder zerstört, bis irgendetwas aus ihnen entstehen würde.

STANDARD: Der Film zeigt Giacometti als einigermaßen narzisstische Persönlichkeit, die aber auch etwas Unsicheres an sich hat.

Hammer: Alles, was ich von ihm weiß, habe ich aus den Texten von James Lord beziehungsweise von Stanley Tuccis Drehbuch. Aber ich muss mich nicht anstrengen, um mir Giacometti als egomanischen Narziss und zugleich als paranoides, unsicheres Kind vorzustellen. Sie wissen ja, wie man sagt: verrückte Künstler!

STANDARD: Wie würden Sie seine Beziehung zu Frauen beschreiben?

Hammer: Tumultartig und erschöpfend. Er lebt wirklich einen bohemienhaften Lebensstil. Er hatte ein Studio, das größer als sein Schlafzimmer war. Und keine Dusche. Nicht wirklich.

STANDARD: Der Film folgt keiner Biopicdramaturgie. Fanden Sie diese Konzentration reizvoller?

Hammer: Wenn man sich Giacomettis Leben als Pizzateig vorstellte, dann haben wir ein ganz kleines Stück herausgeschnitten. Mir gefiel daran, dass es eine Meditation über den künstlerischen Schaffensprozess ist.

STANDARD: Den Sie als Schauspieler als vergleichbare Konstellation erleben? Zwei Figuren, die langsam Gestalt annehmen?

Hammer: Es war das reine Vergnügen. Ich spiele ja eine Person, die unglaublich viel Respekt und Bewunderung seinem Gegenüber entgegenbringt, und zugleich bin ich ein Schauspieler, der das Gleiche gegenüber Geoffrey Rush empfindet.

STANDARD: Regisseur Stanley Tucci ist ja selbst Schauspieler, inwiefern hat das denn geholfen?

Hammer: Es macht immer einen Unterschied, wenn der Regisseur etwas mehr davon versteht. Regisseure, die selbst nicht spielen, haben manchmal das Problem, dass sie nicht wissen, wie sie sich einem erklären sollen. Ein Schauspieler findet dafür meist die richtigen Worte. Wenn man präziser ist, verkürzt das die Konversation.

STANDARD: Wenn man es umgekehrt betrachtet: Was sieht Giacometti in James Lord?

Hammer: Nun, es wurde als große Ehre betrachtet, für Künstler wie Giacometti Porträt stehen zu können. Es bedeutete meist, dass der Künstler etwas an der Person faszinierend fand. Es könnte etwas Ästhetisches sein, oder das Naturell. Es kam eher selten vor, dass man dazu aufgefordert wurde; normalerweise hat man für ein Porträt ja bezahlt.

STANDARD: James Lords Background kommt kaum vor. Der Umstand, dass er homosexuell war, wird nur ganz kurz erwähnt. Gab es dazu mehr Szenen?

Hammer: Ich erinnere mich nicht, dass es mehr gab. Es war ja auch kein großes Ding, im Paris der 1960er-Jahre schwul zu sein. Speziell im Künstlermilieu – da wäre es eher überraschend, wenn es derjenige nie ausprobiert hätte. Nach dem Motto: "Oh Darling, du hast ja noch gar nicht gelebt – wie bourgeois!"

STANDARD: Es war aber auch der Grund, weshalb viele aus dem Ausland überhaupt erst herkamen – was es wieder interessant macht.

Hammer: Ja, das war der Grund, warum James in Paris geblieben ist. Er fühlte sich zu Hause und konnte er selbst sein.

STANDARD: Viele Einstellungen sind Gesichtsstudien, bei denen die kleinsten Regungen eine Rolle spielen. Was für eine Beziehung hat man da gegenüber der Kamera?

Hammer: Es gab tatsächlich extreme Großaufnahmen, eine paar zu viele für meinen Geschmack. Aber die Frage muss man wohl besser einem Kameramann stellen. Ich muss ja die meiste Zeit am Set versuchen, die Kamera nicht zu sehen, sie wegzudenken. Beziehungsweise muss ich auch überlegen, was gut aussehen könnte. Man kann keine Szene mit dem Rücken zur Kamera spielen. (Dominik Kamalzadeh, 3.8.2017)