Ein historisches Dokument aus der dunkelsten Zeit der Vereinigten Staaten von Amerika: "Sklavenjagd um 1850".

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Wien – Seinen jetzt auf Deutsch vorliegenden Roman Underground Railroad hat der afroamerikanische, 2001 mit John Henry Days bekannt gewordene Autor Colson Whitehead schon 2015 geschrieben. Dank Auszeichnungen wie dem Pulitzer-Preis, einer Lektüreempfehlung Barack Obamas und vor allem dank des Wohlwollens der US-Literaturmarktführerin Oprah Winfrey ist er längst zum Bestseller im angloamerikanischen Raum aufgestiegen.

Die aktuellen Ereignisse rund um die rassistischen Ausschreitungen in Charlottesville, den KKK, die weißen Suprematisten im Weißen Haus sowie eine Interviewäußerung Whiteheads über die gegenwärtigen USA als "blasted hellhole wasteland of Trumpland" haben eines bewirkt. Der aktuelle hiesige Trendsport, die moralische, gesellschaftliche und politische Befindlichkeit des nordamerikanischen Kontinents küchenpsychologisch zu deuten, hat eine historisch fundierte Unterlage bekommen: Das deutschsprachige Erscheinen von Colson Whiteheads Underground Railroad wird als (eigentlich gar nicht so selten ausgerufenes) literarisches Ereignis gefeiert.

Whiteheads Roman ist in den Südstaaten im frühen 19. Jahrhundert angesiedelt. Es ist eine der dunkelsten und grimmigsten Zeiten in der Geschichte einer sich bald darauf spaltenden Nation, deren Wohlstand sich vor allem auch einem verdankt, der Verschleppung und Versklavung von Afrikanern: "Geraubte Körper bearbeiteten geraubtes Land", wird es in Underground Railroad einmal heißen. Alle Menschen sind gleich und haben die gleichen Rechte? Selbst Gründerväter der Nation wie Thomas Jefferson oder George Washington "hielten" bekanntlich Sklaven.

Reise durch die Nacht

Whitehead ging anhand des Schicksals seiner Protagonistin Cora von historischen "Slave narratives" damals befreiter Sklaven aus. Er wollte anhand der fantastischen Beschreibung ihrer Flucht die Geschichte der erst 1865 abgeschafften Sklaverei erzählen. Whitehead verweist dabei auf die einst tatsächlich existierende Fluchthilfeorganisation Underground Railroad, ein geheimes Netzwerk mit Routen, Schutzhäusern, Fluchthelfern und von der Eisenbahn entlehnten Codes.

Blöd nur, dass die Eisenbahn erst gut zehn Jahre nach der im Roman ab 1820 angesiedelten Handlung zu rollen begann. Whitehead ahnte wohl bei der Konzeption des Romans ohnehin, dass ihn die Faktenlast bald erdrücken würde. So flüchtete er sich leserfreundlich in einen magischen Realismus ohne zu viel Schnoddrigkeit im Umgang mit Slang-Wörtern.

Der lässt irgendwo in der Mitte zwischen Thomas Pynchons Mason & Dixon und den guten alten hundert Jahren der Einsamkeit tatsächlich unter der Erde ein Schienennetz entstehen, auf dem mit der Dampflok Sklaven in den Norden gebracht werden: "Wenn man sehen will, was es mit diesem Land auf sich hat, [...] dann muss man auf die Schiene. Schaut hinaus, während ihr durchrast, und ihr werdet das wahre Gesicht Amerikas sehen." Draußen aber lauert im Dunkel das Böse.

Anhand der Kreuzwegstationen Coras, den Bundesstaaten Georgia, South und North Carolina, Tennessee und Indiana, werden die verschiedenen Facetten der Sklaverei zwischen Billie Holidays Lynchjustiz-Song Strange Fruit, Anne-Frank-Verweisen und seelenkaltem Rassismus in diesem Reich der Finsternis beleuchtet. Am Ende siegt die Hoffnung. Das macht wohl den Erfolg von Underground Railroad im heutigen Trump-Land aus. Wir haben es mit einem erst langsam, dann zügig Fahrt aufnehmenden Pageturner zu tun. (Christian Schachinger, 25.8.2017)