Die Wahllokale öffnen erst am 15. Oktober, bis dahin fragen Meinungsforschungsinstitute die Gunst der Wähler ab.

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Als ein auf Effizienz bedachter Schüler habe ich bei den Deutschschularbeiten immer das Literaturthema gewählt. Einfach aus dem Grund, weil ich mit der Zusammenfassung der Handlung bereits einen erklecklichen Teil der Aufgabe erfüllt hatte und dann nur noch ein bisschen heruminterpretieren musste. Somit war die Schularbeit auch schon wieder erledigt.

Insofern verstehe ich gut, dass in Medien Umfrageergebnissen so viel Platz eingeräumt wird. Man muss nur berichten, wie es gerade ausschaut, wie sich die Werte im Vergleich zur letzten Umfrage vor zwei Tagen verändert haben und dann nur noch über mögliche Gründe für die Veränderungen spekulieren: etwa die Präsentation neuer Kandidaten, ein provokanter Sager in der "ZiB 2" oder ein Video, das durch die sozialen Medien schwirrt. Das geht ganz leicht von der Hand.

Nur keine Wellen

Schwankungsbreiten? Stichprobengröße? Das erwähnen doch nur übermotivierte Praktikanten! Inzwischen wieder vergessen scheint, dass die Umfrageergebnisse in jüngerer Vergangenheit teilweise doch relativ deutlich von den tatsächlichen Wahlergebnissen entfernt waren. Außerdem soll es ja auch Institute geben, die bei der Auswahl der statistischen Modelle, mit denen sie von den Rohdaten auf die gesamte wahlberechtigte Bevölkerung schließen, einen sehr kundenfreundlichen Ansatz verfolgen.

Auf all das könnte man als Journalist eingehen. Aber man will natürlich nicht das Pulver verschießen. Liegen die Meinungsforschungsinstitute letztlich wirklich daneben, kann man das in der Woche nach der Wahl wunderbar aufgreifen. Da schreiben sich die Artikel und Beiträge wieder ganz von selbst.

Die Gunst der Wähler

Aber warum wird nicht einfach zugegeben, dass die Erforschung des Wahlgeheimnisses ein äußerst schwieriges Unterfangen ist – noch dazu Monate vor dem Wahltermin? Man muss ja nicht im Rhythmus von wenigen Tagen berichten, wie es derzeit angeblich (!) um die Gunst der Wähler steht. So, als würde es um den aktuellen Tabellenstand in der Fußball-Bundesliga gehen. Und so, als würden in beiden Fällen glasklare Fakten die Grundlage bilden.

"Intelligenz ist das, was man mithilfe von Intelligenztests misst." Diese Definition aus dem Bereich der Psychologie wird oft belächelt. Aber mir gefällt die Ehrlichkeit und das Eingeständnis, die beziehungsweise das dem Satz innewohnt. Man weiß halt nicht genau, was Intelligenz wirklich ist, oder kann sich zumindest nicht auf eine weithin akzeptierte Definition einigen. Vielleicht sollte man auch die Wahlumfragen unter diesem Gesichtspunkt betrachten. Dann müssten sich auch die auf Effizienz bedachten Journalisten mit Inhalten befassen und dürften sich auch mit Recht aufregen, wenn Politiker Umfragewerte zur Maxime ihres Handelns machen. (Andreas Schranz, 29.8.2017)