Uppsala/Wien – Laut der griechischen Mythologie ging die Königstochter Europa, die unserem Kontinent den Namen gab, auf der Insel Kreta an Land – am Rücken eines Stiers, der in Wahrheit kein Geringerer als Zeus war. Heute ist Kreta nicht nur die größte Insel Griechenlands, sondern auch die südlichste Europas.
Die auch wegen dieser besonderen Lage beliebte Urlauberdestination gibt aber auch paläontologisch einiges her und wartet nun mit einem Überraschungsfund auf, der für einige Diskussionen in Fachkreisen sorgen wird: In Trachilos, ganz im Nordwesten der Insel, entdeckten Per Ahlberg (Uni Uppsala) und sein internationales Team gut 50 urzeitliche Fußabdrücke, die sich in einer 5,7 Millionen Jahre alten Gesteinsschicht befinden.
Abdrücke eines Zweibeiners
Was diese Spuren so aufregend macht, ist weniger ihr Alter als ihre Form: Die Forscher berichten in den "Proceedings of the Geologists' Association" von fünf nach vorne gerichteten Zehenabdrücken mit einer besonders großen ersten Zehe. Spuren von Vorderextremitäten fanden sich hingegen nicht, weshalb Ahlberg und Kollegen davon ausgehen, dass ein Lebewesen die Spuren hinterließ, das auf zwei Beinen ging.
Aufgrund dieser Einschränkung bleiben dann nur mehr wenige Tiere übrig: Ein Bär könnte zwar für ein paar Meter aufrecht unterwegs gewesen sein, doch seine Spuren haben eher gleichgroße Zehen. Und die damals im Mittelmeerraum verbreitete Affenart Oreopithecus bambolii bewegte sich zwar streckenweise aufrecht fort, besaß aber eine große Zehe, die deutlich abgespreizt war.
Folgenreiche Spekulationen
Was aber war es dann? Ahlberg und Kollegen spekulieren, dass dieser Bewohner Kretas ein früher Hominine gewesen sein könnte, also ein Angehöriger jener Untergruppe der Menschenaffen, aus der letztlich der moderne Mensch hervorging. Sollte sich diese Annahme tatsächlich bestätigen lassen, hätte das gröbere Auswirkungen auf unsere Vorstellungen der frühen menschlichen Evolution.
Bis vor kurzem ging man nämlich davon aus, dass sich die Stammeslinien von Schimpanse und Mensch erst vor rund sieben Millionen Jahren in Afrika trennten und dass dort auch für die längste Zeit die Wiege unserer Vorfahren stand. Der neue Fund deutet aber darauf hin, dass diese Vormenschen bereits früher Afrika verließen, als gedacht. Dadurch würde auch die Neuanalyse von sieben Millionen Jahre alten Fossilien aus Griechenland und Bulgarien bestätigt werden, die man ebenfalls Homininen zuordnete.
Klimatisches Fenster
Rekonstruktionen des damaligen Klimas machen solche frühe Auswanderungen denkbar und möglich: Die Sahara als natürliche Barriere existierte damals noch nicht, und der Meeresspiegel des Mittelmeers lag so tief, dass man Kreta – anders als Touristen heute – vermutlich auf dem Landweg erreichen konnte. (tasch, 4.9.2017)