Im Wahlkampf lässt ÖVP-Chef Sebastian Kurz keine Gelegenheit aus, die Unterschiede zu Angela Merkel zu betonen.

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SPÖ-Chef Christian Kern kommuniziert, dass er längst erkannt habe, welche Sorgen die Bürger tatsächlich bewegen. Ein derart schlechtes Ergebnis, wie es SPD-Chef Martin Schulz am Sonntag einfuhr, möchte Kern in drei Wochen tunlichst vermeiden.

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Im März zeigte sich FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache noch gerne mit Frauke Petry. Am Montag kündigte die AfD-Chefin überraschend an, nicht der neuen AfD-Bundestagsfraktion anzugehören und Strache zeigt sich bemüht, die Überschneidungen der beiden Parteien herunterzuspielen.

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Wien – Die Reaktionen der heimischen Spitzenpolitik haben nicht lange auf sich warten lassen. SPÖ-Chef und Kanzler Christian Kern schlussfolgerte nach Bekanntwerden der herben Verluste von SPD und CDU/CSU sowie des guten Abschneidens der AfD: Die Politik dürfe "Probleme nicht ignorieren", die SPÖ habe die Sorgen der Menschen längst erkannt und gehe den "Weg der Veränderung" konsequent weiter.

ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz ließ das Wahlvolk wissen: "Die Flüchtlingspolitik ist von vielen Politikern und traditionellen Parteien in Europa nicht ernst genug genommen worden." Die FPÖ leitet aus der Deutschland-Wahl gar den "Willen nach Veränderung in Europa" ab, und Grüne sowie Neos erhoffen sich durch das Abschneiden ihrer Schwesterparteien Rückenwind.

Agendasurfing betreiben

Stellt sich die Frage: Hat eine Wahl im Nachbarland überhaupt irgendeine Auswirkung auf das Wahlverhalten in Österreich? Die Antwort des Politologen Peter Filzmaier fällt zunächst klar aus: "Nein", dafür gebe es keinerlei empirische Belege, wie er im STANDARD-Gespräch sagt. Allerdings sei es natürlich zentrale Aufgabe der Parteistrategen, sogenanntes "Agendasurfing" zu betreiben, wie es in der Politikwissenschaft heißt.

Gemeint ist: Man nutzt die aktuelle Berichterstattung, um zumindest kurzfristig auf der Themenwelle mitzusurfen und ihr den jeweils eigenen Spin mitzugeben. Denn, so Filzmaier: "Medienpräsenz ist fast das höchste Gut im Wahlkampf", und letztlich zeige auch sein Gespräch mit dem STANDARD, dass das Agendasurfing funktioniere.

Kurz muss Andersartigkeit betonen

Der Politikberater Thomas Hofer analysiert, wie man nun die Botschaften der Spitzenkandidaten nach der Deutschland-Wahl interpretieren kann. "Für Sebastian Kurz ist zentral: Er muss die Andersartigkeit der ÖVP im Vergleich zur CDU betonen." Es gelte, die Botschaft, wonach er beim Flüchtlingsthema anders als Angela Merkel reagiert habe, zu wiederholen und nachzuschärfen. Also auf den Punkt gebracht: "Den harten Mann markieren und die implizite Kritik an Merkel aufrechterhalten. Das ist aus seiner Sicht der richtige Weg", meint Hofer.

Für die SPÖ sei der Umgang schon schwieriger. Kerns Botschaft, wonach der wirtschaftliche Aufschwung endlich da sei und auch die Stimmung im Land sich zum Positiven gedreht habe, werde durch das schlechte Abschneiden der Schwesterpartei SPD natürlich konterkariert. Die Herausforderung sei nun, "die Auseinandersetzung wieder auf die Stärkefelder der SPÖ, also Soziales, Verteilung", zu lenken, so Hofer.

Auf Solidarisierungseffekt setzen

Filzmaier weist noch auf eine andere Möglichkeit hin, die das Agendasurfing biete: "Man versucht den Misserfolg der Schwesterpartei für einen Solidarisierungseffekt zu nutzen, der wachrütteln soll." Nach dem Motto: "Jetzt kommt es auf jede Stimme an. Wenn ihr nicht wollt, dass die rechten Parteien regieren, müsst ihr uns wählen."

Bei der FPÖ gehe es umgekehrt darum, nicht zu viel Angriffsfläche zu bieten, meint Hofer und verweist auf das aus freiheitlicher Sicht negative Beispiel der Brexit- und Trump-Debatten nach dem Sieg von Norbert Hofer im ersten Durchgang der Bundespräsidentenwahl im Vorjahr.

Vor diesem Hintergrund sei auch zu erklären, dass sich die FPÖ zwar öffentlich mit der AfD freute, Parteichef Heinz-Christian Strache aber gleichzeitig betonte, dass sich die Alternative für Deutschland erst in den "Geburtswehen" befinde und man zwar in der Problemanalyse überstimme, nicht aber in den Lösungen.

Mogelpackung betonen

Eine zu scharfe Wortwahl – AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland hat am Sonntag sofort angekündigt, Merkel "jagen" zu wollen – passe auch nicht mit der aktuellen Wahlkampflinie der Blauen zusammen, die mitunter sogar humorvoll angelegt ist, meint Hofer. Mehr Sinn mache es daher aus strategischer Sicht, die Glaubwürdigkeit von Sebastian Kurz anzugreifen, ihn als "Mogelpackung" und "Nachahmer" darzustellen und das Negative Campaigning in diesem Bereich zu verstärken.

Grüne und Neos wiederum könnten die Ergebnisse der deutschen Kollegen vor allem für die Mobilisierung der eigenen Funktionäre und Funktionärinnen nutzen. "Das kann eine Art Mutinjektion sein", sagt Hofer, der hinzufügt: "Die Wahlauseinandersetzung wird aber schnell wieder in den Österreich-Modus übergehen." (Günther Oswald, 25.9.2017)