Man glaubt es fast nicht, aber in Deutschland liegt nun ein Friedensvertrag auf dem Tisch, dessen Bedeutung gar nicht genug gewürdigt werden kann. Nach knapp zwei Jahren haben Angela Merkel und Horst Seehofer ihren Streit um eine Obergrenze für Flüchtlinge beigelegt. Bemerkenswert ist, dass es sich bei den Gegnern nicht um verfeindete Familien wie die Montagues und Capulets handelt, sondern um "Schwesterparteien", die im Bundestag eine Fraktionsgemeinschaft bilden und seit Jahr und Tag erklären, das Land gemeinsam regieren zu wollen.

Der Kompromiss ist ein verbales Monstrum, es ist von subsidiär Geschützten die Rede, von Relocation und Resettlement – und das alles hat natürlich nur einen Zweck: Es soll verschleiern, dass der Begriff "Obergrenze", an den sich die CSU so lange geklammert und den Merkel ebenso lange abgelehnt hat, gar nicht vorkommt.

Dafür steht die Zahl 200.000 nun schwarz auf weiß auf dem Papier, das ist das Entgegenkommen an die CSU. Man fühlt sich an die Gespräche über die Pkw-Maut für Ausländer erinnert, die zugleich EU-konform sein sollte. Es war ungeheurer Erfindungsgeist nötig, um zusammenzupressen, was eigentlich nicht zusammenpasst.

Doch immerhin: Die beiden Parteien, die das Wort "christlich" im Namen führen, legen dar, dass sie auch künftig bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen. In Österreich, beim konservativen kleinen Bruder, klingt das schon anders, da verlangt Sebastian Kurz ja eine "Obergrenze null".

Deutschland ist schon durch

Der jedoch hat die Wahl noch vor sich, Deutschland ist schon durch. Man stelle sich kurz vor, Merkel und Seehofer hätten ihren Kompromiss schon vor der Wahl geschafft. "Hätte, hätte, Fahrradkette", hat ein großer sozialdemokratischer Philosoph namens Peer Steinbrück mal gesagt, als er 2013 auf Fehler in seiner Kanzlerkandidatur angesprochen wurde.

Will heißen: Im Nachhinein ist man immer klüger. Aber die Frage wird ja noch erlaubt sein. Vielleicht hätte die AfD nicht so gut abgeschnitten, vielleicht hätten sich einige Wähler nicht peinlich berührt vom absurden Obergrenzen-Schauspiel abgewandt.

Es war ja auch nicht die Vernunft, die zu dieser ebenso überfälligen wie fürderhin elastisch zu handhabenden Obergrenze light führte, sondern der Druck von außen. Nachdem sich Merkel, um zu beschönigen, dass die Union bei der Wahl stark verloren hat, zur Siegerin ausgerufen hat, weil ja gegen sie nicht regiert werden könne, muss sie diesen Anspruch natürlich erfüllen.

Doch die Zahl der Koalitionspartner ist nach dem wutschnaubenden Abgang der SPD in die Opposition überschaubar geworden. Es bleiben Merkel nur FDP und Grüne für das erste Jamaika-Bündnis auf Bundesebene. Verständlich, dass die beiden Kleinen erklärt haben: Bestellt bitte erst mal euren Hof, dann können wir reden.

Und erst bei diesen Gesprächen, die nächste Woche, nach der niedersächsischen Landtagswahl, endlich beginnen, wird sich zeigen, was der Obergrenzenkompromiss wert ist. Vor allem bei den Grünen herrscht Skepsis.

Man ahnt nicht unbedingt Gutes für die Verhandlungen. Denn wenn zwei vom eigentlich ähnlichen Schlag schon so lange brauchen, um sich zu verständigen, wie sollen dann die Gespräche in der großen Runde einen passablen Verlauf nehmen? Deutschland jedoch braucht eine neue Regierung, Zeit für ewig lange Verhandlungen ist diesmal nicht. (Birgit Baumann, 9.10.2017)