Halifax/Wien – Geschlechtsorgane sind die – morphologisch betrachtet – vermutlich mannigfaltigsten Organe des Tierreichs. Hat sich die Forschung lange auf die männlichen Sexualwerkzeuge konzentriert, werden in neueren Untersuchungen meist männliche und weibliche Sexualorgane gemeinsam erforscht – unter der logischen Annahme, dass sie in Koevolution entstanden.
Klaffende Forschungslücke
Eine gewisse Lücke bei der Erforschung tierischer Geschlechtsorgane stellten bisher Wale und Delfine dar, deren Kopulation sich nun einmal schlecht beobachten lässt. Doch ein Team um die Meeresbiologin Dana Orbach (Dalhousie University im kanadischen Halifax) bringt nun Licht ins Dunkel der Meeressäugerkopulation.

Schon vor Veröffentlichung der neuen Untersuchung in den "Proceedings B" der britischen Royal Society wusste man um zwei Besonderheiten des Sexualakts der Cetacea, wie Wale und Delfine wissenschaftlich genannt werden: Die Kopulation muss zum einen freischwimmend im offenen Meer vollzogen werden – und zum anderen so, dass kein Wasser in den Genitaltrakt des Weibchens gerät.
Ungewöhnliche Rekonstruktionen
Das Problem, den Koitus im Detail nicht direkt beobachten zu können, lösten die Forscher auf etwas ungewöhnliche Weise: Sie besorgten sich Fortpflanzungsorgane von Delfinen und Walen, die eines natürlichen Todes gestorben waren. Mittels eingespritzter Salzlösung bliesen sie Penisse der Tiere zur vollen Größe auf. Von den Vaginen wiederum stellten sie Abgüsse aus Silikon her, um so Kopulationen simulieren zu können.
Mithilfe eines Computertomografen konnten Orbach und ihre Kollegen dann nachvollziehen, wie tief die Penisse der verschiedenen Meeressäugerarten in die Vaginen eindringen und welche Hindernisse sie dabei zu überwinden haben.
Antagonistische und kongruente Koevolution
Dabei wurde offensichtlich, dass sich bei einigen der untersuchten Arten (konkret: dem Großen Tümmler und dem Gemeinen Schweinswal oder Kleinen Tümmler) der Penis der Männchen zur Besamung durch die Vagina schlängeln muss, die stark gewunden und gefaltet ist.

Für die Forscher sind das Beispiele für eine sogenannte antagonistische Koevolution der Sexualorgane, während es bei den Gemeinen Delfinen und den Seehunden anatomisch deutlich "geradliniger" zugeht. Entsprechend stehe deren Geschlechtsorganentwicklung für eine kongruente Koevolution. (Klaus Taschwer, 11.10.2017)