Ohne Pflichtmitgliedschaft keine flächendeckenden Kollektivverträge. So lautet das zentrale Argument der Sozialpartner gegen die Abschaffung der Kammerpflichtmitgliedschaft. Kollektivverträge sind natürlich enorm wichtig für den sozialen Frieden. Dank der Kompromisse von Arbeitgebern und -nehmern haben sich die Löhne in Österreich – anders als etwa in Griechenland – mehr oder weniger synchron zu Wachstum und Produktivität entwickelt. Trotzdem sollte es erlaubt sein zu fragen, ob das Ziel einer hohen KV-Durchdringung nicht auch anders erreicht werden kann. Auch jetzt gibt es schließlich gesetzliche Möglichkeiten, um dort, wo die Arbeitgeber nicht verhandeln wollen, Mindeststandards durchsetzen zu können.

Nicht jeder, der Zwangsmitgliedschaften kritisch hinterfragt, muss also gleich ein Vertreter der Fraktion neoliberaler Zerstörer sein. Möglich wäre auch ein differenzierter Blick. Unselbstständig arbeiten muss grundsätzlich jeder, der nicht reich geboren wird. Bei schlechtverdienenden oder ungebildeten Arbeitskräften kann eine Pflichtmitgliedschaft daher ein wichtiger Beitrag dazu sein, dass niemand ausgebeutet werden kann.

Der Schritt in die Selbstständigkeit ist in aller Regel aber ein bewusster. Hier wiegt das Schutzargument weniger schwer. Wer ein Unternehmen gründen kann, der sollte auch in der Lage sein zu entscheiden, ob für ihn oder sie die Angebote einer Interessenvertretung Sinn ergeben. (Günther Oswald, 30.10.2017)