Bild nicht mehr verfügbar.

Ein Steinkrebs: Gegen den meist größeren Signalkrebs kann er sich nicht wirklich durchsetzen und wird verdrängt.

Foto: Picturedesk.com / A. Hartl

Wien – In Österreichs Fließgewässern leben vier einheimische Krebsarten: der Edelkrebs, der Dohlenkrebs, der Galizische Sumpfkrebs und der Steinkrebs. Letzterer ist mit zehn Zentimetern Länge der kleinste Vertreter der Gruppe und kam lange Zeit in so gut wie allen Wald- und Wiesenbächen Österreichs vor. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts brach jedoch eine lange Zeit unerklärliche Krankheit über die Flusskrebse herein, die ihre Bestände in ganz Europa dramatisch reduzierte: die sogenannte "Krebspest".

Hervorgerufen wird die Erkrankung durch einen aus Nordamerika stammenden Pilz, der 1860 in Europa eingeschleppt wurde. Nordamerikanische Flusskrebsarten sind sehr widerstandsfähig gegen die Krankheit, weshalb man ab den 1970er-Jahren begann, massiv amerikanische Signalkrebse in europäischen Fließgewässern auszusetzen, um den Einbruch der hiesigen Arten auszugleichen. Was man damals noch nicht wusste, war, dass die amerikanischen Zuzügler selbst die Hauptüberträger der Krebspest sind. Außerdem sind sie in vielen Fällen auch größer, aggressiver und damit stärker als die heimischen Arten, die sie seitdem vielerorts auf kleine Restbestände zurückgedrängt haben.

Arthur Pichler vom Institut für Hydrobiologie der Wiener Universität für Bodenkultur erhob vergangenen Sommer, wo es in Wien heute noch Steinkrebse gibt und inwieweit sie durch den Signalkrebs verdrängt wurden. Dazu suchte er in ausgewählten Abschnitten von Liesing, Wienfluss und Donau sowie in 30 Wienerwald-Bächen nach den nachtaktiven Tieren – und wurde überrascht: "Ich hatte mit einigen Exemplaren pro Gewässer gerechnet, aber oft hatte ich innerhalb einer halben Stunde mehrere Dutzend." Die Krebse fing er mit der Hand, dann wurden sie gewogen und vermessen und wieder ins Wasser entlassen.

Mehr Raum gewonnen

Dabei zeigte sich, dass der invasive Signalkrebs in den letzten Jahrzehnten deutlich an Raum gewonnen hat: Lediglich in einem Gebiet um die Höhenstraße in Wiens Nordwesten herum "ist die Welt für die Steinkrebse noch in Ordnung", wie Pichler ausführt. Auch im südlich davon liegenden Mauerbach gibt es noch einige Populationen, die aber laut Aussage des jungen Limnologen massiv gefährdet sind: "Das ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der Signalkrebs den Steinkrebs auch dort verdrängt hat."

Die Donau, den oberen Wienfluss inklusive seiner Zubringer sowie die Liesing hat der Signalkrebs laut Pichler völlig eingenommen. Verschwunden ist der Steinkrebs auch aus dem Gütenbach im Lainzer Tiergarten, der noch in den 1990er-Jahren eine der dichtesten städtischen Populationen desselben beherbergte.

Als Allesfresser, die auch Reste von Tieren und Pflanzen verwerten, spielen die Flusskrebse eine wertvolle Rolle als "Gesundheitspolizei" im Wasser. Außerdem dienen sie vielen anderen Lebewesen als Nahrung, wie Reihern, Kormoranen, Bisamratten oder auch – solange sie klein sind – Fischen und großen Wasserinsekten. Das Aussterben der heimischen Flusskrebse wäre auch das Aus für die auf ihnen lebenden Arten von Krebsegeln oder Branchiobdelliden: Ursprünglich generell als Parasiten eingeschätzt, mehren sich die Hinweise, dass die Beziehung zwischen den Würmern und ihren Wirten viel komplexer sein dürfte als bisher angenommen: Es gibt sogar Befunde, wonach Krebse mit Branchiobdelliden höhere Wachstumsraten aufweisen als solche ohne.

Gut gemeintes Unwissen

Denkbar ist, dass die Würmer Aufwuchs wie Algen oder Einzeller vom Krebspanzer abfressen und den Krebs so gesünder erhalten. Bei schlechten Bedingungen scheinen die Würmer allerdings auch ganz gerne einmal an den Kiemen ihrer Wirte zu knabbern.

Seit 2016 verbietet eine EU-Verordnung die Haltung und das Aussetzen von fünf invasiven Krebsarten, aber "im Aquarienhandel sind viele weitere Arten problemlos erhältlich", wie Pichler weiß. Auch manche Teichwirte, die auf Flusskrebse setzen, züchten gerne den pestresistenten Signalkrebs anstatt seine anfälligen heimischen Verwandten – auch wenn Ersterer die Problematik noch verschärft. In den meisten Fällen geht Pichler jedoch bei Menschen, die Signalkrebse aussetzen, von gut gemeintem Unwissen aus, zumal sich die Krebspest auch über infizierte Gegenstände wie Gummistiefel verbreiten lässt.

Wie die Geschichte der heimischen Flusskrebse weitergeht, ist fraglich. "Heimische Flusskrebse sind EU-weit geschützt, verlieren jedoch zusehends an Lebensraum", bedauert Pichler. "Eine einzige Erhebung ist zu wenig, langfristige Untersuchungen sind aber schwer zu finanzieren." (Susanne Strnadl, 4.11.2017)