Sajko hat für Dezember ein Writer-in-Residence-Stipendium im Wiener Museumsquartier und arbeitet an einem Theaterstück.

Foto: Hassan Abdelghani

Als ich 2013 anlässlich des EU-Beitritts eine Ausgabe der Literaturzeitschrift Podium mit kroatischer Literatur herausgab, war ich mangels Sprachkenntnis gezwungen, mir unbekannte Texte übersetzen zu lassen. Ich hatte gelesen, was ich an deutschen Übersetzungen bekommen konnte, und danach entschieden, welche AutorInnen ich um einen Beitrag bat. Edo Popovic, dessen Roman Kalda für mich zu einem Lebensbuch geworden ist, fehlt, weil nur Erstübersetzungen zugelassen waren. Und obwohl ich Rio Bar, 2008 auf Deutsch publiziert, kannte, traf mich der Text Worte, Worte, Worte von Ivana Sajko mit unvorstellbarer Wucht. Schon mit dem ersten Satz wird der Leser / die Leserin in ein Beziehungsdesaster geworfen, aus dem es erfahrungsgemäß kein Entrinnen geben, sondern das nur in Trennung, Totschlag oder Apathie führen kann. Das ist es, sagt Sajko bei unserem Treffen, was den beinahe versöhnlichen Schluss ihres Liebesromans einläutet: Erschöpfung. Die beiden können nicht mehr. Weder gemeinsam gegen die Umstände noch miteinander kämpfen.

Ivana Sajko hat den 8. Dezember 2017 um fünf Uhr nachmittags für ein Treffen vorgeschlagen. Es ist ihr 42. Geburtstag. "The bill is on me, it's my birthday. I am not celebrating though ..." Sie hat für Dezember ein Writer-in-Residence-Stipendium im Wiener Museumsquartier und arbeitet an einem neuen Theaterstück mit dem Arbeitstitel Ich würde nie wiederkommen. Um halb neun Uhr morgens beginnt sie, und nach unserem gut einstündigen Treffen wird sie sich wieder an den Schreibtisch setzen. Noch ist sie mit der Struktur des Stückes beschäftigt, das nicht als Monolog angelegt ist wie ihre Trilogie Archetyp: Medea, Bombenfrau und Europa. Der Impuls dazu ging von Knut Hamsuns Debütroman Hunger aus, dessen Erzählform bereits nach seinem Erscheinen im Jahr 1890 als richtungsweisend gerühmt wurde.

Ein Mann driftet nach rechts ab

Mit der Technik des Bewusstseinsstroms stellte Hamsun den Verfall eines jungen Schriftstellers in Kristiania (dem heutigen Oslo) dar: Hunger, Obdachlosigkeit, Hoffnung und Scham begleiten dessen Niedergang. Einen Mann mit ähnlichem Schicksal will Ivana Sajko in ihrem neuen Stück politisch nach rechts abdriften lassen. Sie möchte, sagt sie, "ein Stück in den Schuhen von jemand anderem gehen".

Von jemandem, der nicht mehr an sozialistische Werte glaubt, sondern Schuldige sucht und für dessen seelische Verfassung sich niemand von den elitären Linken interessiert. Trotz der Vielfalt ihrer Themen und ihrer stilistischen Breite zieht sich ein Merkmal durch das Werk der Autorin: Es geht weder um Denunziation noch um Rechtfertigung, weder um Verständnis noch um ein Urteil, am ehesten darum, schmerzhafte innere Widersprüche offenzulegen.

Der Grund für unser Treffen ist das Erscheinen von Ivana Sajkos Liebesroman in deutscher Sprache. Die ersten beiden Kapitel sind mit Worte, Worte, Worte im Podium-Länderheft Kroatien identisch. Und obwohl sie mich damals mit solcher Wucht getroffen haben, hat sich mein Leben nicht verändert. Ich bin weder getrennt noch tot noch erschöpft genug, um Ruhe zu geben.

Für Ivana Sajko hat sich einiges geändert: Sie hat den Roman geschrieben, und sie lebt getrennt. Dabei ist es ihr wichtig, festzuhalten, dass ihre Bücher nicht im engeren Sinn autobiografisch sind wie beispielsweise Karl Ove Knausgards fünfteilige Serie Min Kamp. Aber natürlich bedient sie sich des Materials, das das eigene Leben abwirft. Der Mann im Liebesroman ist beispielsweise Schriftsteller. Darüber kann sie schreiben. Die Frau ist Schauspielerin. Auch darüber weiß sie als Dramatikerin und Regisseurin Bescheid. Als Erzählerin ist sie in den Köpfen vieler Figuren, sogar in der eines Wachmanns, der während einer Demonstration einen Zaun abzustützen versucht.

Zeit nach dem "Happy End"

In dessen Lebensgeschichte schleicht sie sich über den Mann ein, der den Zaun schließlich mit anderen zu Fall bringt und über den Wachmann nachzudenken beginnt, bis dieses Nachdenken ein Eigenleben gewinnt und "wenn er (der Wachmann, Anm.) nun wieder denkt, dass es keine Gerechtigkeit gibt, gibt er in der Tat eine genaue, wenn auch abgedroschene Definition der Situation, denn für ihn gibt es auf keiner Seite des Zauns Gerechtigkeit, so wie es sie einst auf keiner Seite der Barrikaden gab ..."

Die Erzählung von Liebesroman setzt da ein, wo laut Tucholsky "abjeblendt" wird. In der Zeit nach dem "Happy End", das zwei Menschen zueinander geführt hat. Dieses wird allerdings in Kapitel 4 nachgereicht. War es Zufall, dass ausgerechnet dieses Kapitel, das viele versöhnliche, zärtliche Töne in sich birgt, bei der Buchpräsentation in der Drachengasse vorgetragen wurde? Die anderen Kapitel zeigen verfehlte Dialoge: "Er sagte ihr, dass gerade die Entscheidung darüber fallen würde, ob Griechenland in der Währungsunion bleiben könne, auch wenn es seine Schulden nicht zurückzahlen würde. Er versuchte mit ihr zu reden. Aber sie antwortete, dass Griechenland ihr so was von gestohlen bleiben könne und dass sie ihre eigenen Schulden hätten. An dieser Stelle ging er in die Luft. Er brüllte und fragte, warum sie jeden Dreck auf sich selbst beziehungsweise auf ihn beziehen müsse."

Im kommenden Jänner wird Yves, Ivanas Sohn, dem das Buch auch gewidmet ist, sechs Jahre alt. Im Herbst wird er mit der Schule beginnen. Wo, ist noch ungewiss. Sie habe kein Zuhause, obwohl sie über ein kleines Apartment in Pula verfüge, sagt Ivana Sajko. Sie liebe das Meer, wolle aber nicht für immer in Kroatien bleiben. Und wozu das alles, will ich wissen, was ist der Antrieb, ein Leben in ständiger existentieller Unsicherheit zu führen?

"Ich bin sehr wütend auf die Welt"

Kroatien hat vier Millionen Einwohner, die Leserschaft ist marginal, die deutschen Übersetzungen sind dem Netzwerk Traduki zu verdanken, das südosteuropäische Literatur für den deutschen Sprachraum zugänglich macht. Ohne Preise und Stipendien wäre an ein Leben von der Kunst nicht zu denken. Fühlt sie so etwas wie eine "heilige" Bestimmung? In einem Jahre zurückliegenden Interview vor Studierenden der Humboldt-Universität Berlin bekannte sie: "Ich bin als Person sehr wütend auf die Welt, in der ich lebe. Das ist die Art von Wut, die in Bombenfrau zum Ausdruck kommt: ,Sie ist die Bombe, die ich nie werfen werde.' Das ist so, und das meine ich vollkommen ernst, weil ich durch mein Schreiben die Welt in keiner bestimmten, aber in einer tief religiösen Weise verändern möchte."

"Nein", antwortet Sajko, da hätte ich sie missverstanden. Sie sei von keinem heiligen Eifer getrieben. Sie hätte damals die soziale Komponente der meisten Religionen gemeint. Die sei ihr wichtig, obwohl sie selbst nicht religiös sei. Und dass sie sich nicht als politische Schriftstellerin im Sinn einer Positionsnahme verstehe, hat sie mehrfach betont. Ihr Schreiben habe andere Wurzeln. Sie sei ein einsames Kind gewesen, sensibel und als Jugendliche von Panikattacken betroffen. Und sobald sie schreiben gelernt hätte, habe sie nicht mehr damit aufgehört. Während man schreibe, wachse der innere Raum, man sei im Hier und Jetzt; im Schmerz, der das Schreiben begleite, begegne man sich selbst. Dennoch sind die Texte alles andere als Bekenntnisprosa. Vielfach überarbeitete Satzkaskaden münden in lapidare Banalitäten und bringen politische, philosophische und poetische Höhenflüge auf den Boden des Alltags zurück. Manchmal sogar explizit: "Aber sie wird nicht die Erste sein, die nach einem Lappen langt, nein, das wird sie nicht, sie wird den Schlamm auf dem Boden verkrusten lassen, damit er sehen kann, wie seine Worte, Worte, Worte bei genauerem Betrachten wirklich aussehen." (Christa Nebenführ, 17.12.2017)