Manchmal spielte der gefürchtete Diktator Josef Stalin das gütige Väterchen. Die Auto-Union-Silberpfeile elektrisierten Sohn und Fliegergeneral Wassili, er träumte von einem Einstieg der Sowjetunion in den internationalen Formelsport. Und der Herr "Papa" gab ihm freie Hand, den Versuch zu starten.

Rückblick

Blenden wir in das Jahr 1944 zurück. Noch immer arbeitete ein kleines Entwicklungsteam bei Auto Union unter Leitung des Österreichers Robert Eberan von Eberhorst in Zwickau an einem 1,5 Liter Rennmotor mit einer Literleistung von 300 PS, eingebaut in einem Prototyp. Im Jänner dieses Jahres zerstörten Fliegerbomben das gesamte Areal, in den Köpfen der Experten blieb aber das Konzept gespeichert. Die Front rückte 1945 bis nach Thüringen vor, vier Auto-Union-Rennwagen wurden in einem Bergwerk versteckt. Doch die Russen machten fette Beute, ab mit den Prachtstücken an die Moskwa.

Auto-Union-Bergrennwagen von 1939, sowjetisches Beuteexemplar 1977 bei einer Autoshow in Riga.
Foto: Archiv Urbanek

Wassili, der Autofan, freute sich über ihren Anblick, ein Fahrversuch wurde befohlen, doch qualifizierte Fahrer blieben Mangelware. Manfred von Brauchitsch aus der Riege der deutschen Rennsporthelden, begeisterter NSKK-Sturmführer, hatte damals noch nicht seine spätere Liebe für die DDR entdeckt, so musste am 9. Juni 1946 ein Genosse Leonid Sokolow hinter das Steuer.

Vom Test zum Gulag

Zur allgemeinen Überraschung war es gelungen, dank des Brennstoffgemisches aus Methanol, Ethanol, Rizinusöl und anderen Stoffen den Motor eines der Silberpfeile zu starten. Die Teststrecke bei Moskau war breit, das Wetter prächtig, dicht gedrängt standen die Zuseher am Straßenrand, die vorherigen Motorradrennen hatten das Publikum in Stimmung gebracht. Sokolow gab Gas, der silberne Renner schoss dahin, doch begeisterte Fans verengten die Fahrbahn. Der Pilot verlor die Nerven, ging vom Gas und trat voll in die Bremsen. Das Auto drehte sich voll herum, sauste über die Absperrung, schlug in einem Lkw ein, der Fahrer selbst flog aus dem Auto über die Böschung. Fazit: 18 Tote, unzählige Verletzte, ein absolutes Verbot des Diktators für weitere Tests und zehn Jahre Gulag für den Veranstalter.

Nachbau "Sokol 650", von Wassili Stalin in Auftrag gegeben im Awtowelo-Werk Chemnitz (1949), heute im PS.Speicher in Einbeck.
Foto: Audi

Aus vieren waren damit drei geworden, das Interesse an den Beutestücken verlöschte. Fliegergeneral Wassili Stalin gab seinen Traum vom russischen Formelsport aber nicht auf, der neue Befehl in Richtung sowjetische Besatzungszone bzw. DDR kam direkt aus dem Kreml. Folglich wurden 1949 ehemalige Auto-Union-Techniker zusammengetrommelt, der neue Betrieb hieß Awtowelo, der "Dank des deutschen Volkes an Stalin".

V12 mit 152 PS

Das Zweiliter-Formel-2-Reglement lockte, in relativ kurzer Zeit entstanden zwei Einsitzer, deren Konzept natürlich auf den Auto-Union-Rennern basierte. Konfiguration: Zweiliter-V12-Zylinder-Viertakt-Vergaser mit 152 PS und 730 kg Leergewicht. Das Fahrgestell bestand aus zwei parallel liegenden Stahlrohren, die durch Querrohre mittels Schweißung verbunden waren. Sokol (Falke) war der stolze Name, die Autogeschichte spricht von Typ 650. Ein ehemaliger Versuchsfahrer der Auto Union nahm das Fahrzeug ab, dann ging es nach Moskau zum Stadtparkrennen 1952. Große Pleite, die Renner wollten sich nicht bewegen. Von Sabotage war die Rede, es ging retour in die DDR. Stalin starb 1953, Sohn Wassili wurde zur Unperson, die beiden Falken vergammelten in DDR-Lagerhallen.

Der restaurierte Rennwagen aus Riga im Audi-Museum Ingolstadt.
Foto: Audi

Jetzt kommen plötzlich die originalen Silberpfeile wieder ins Spiel. Im Automuseum von Riga tauchte, schwer erklärbar, ein Auto-Union-Renner, Serie D, auf. Ziemlich devastiert, ohne Motor und Armaturen, aber original. Nach der Wende erwarb Audi dieses Halbwrack, schaffte es zur Restauration nach England – dafür bekamen die braven Letten eine Replica. Nun steht dieser Renner, eine sogenannte Bergversion mit hinterer Doppelbereifung, "zu Hause" im Audi-Museum in Ingolstadt. Und die anderen beiden Beutefahrzeuge? Die schafften in Teilen die Westflucht ...

Der einzige Renneinsatz dieses Auto-Union-Silberpfeils erfolgte übrigens am 6. August 1939 beim Großglockner-Bergmeisterschaftslauf. Werksfahrer H. P. Müller stürmte bei strömendem Regen im ersten Lauf mit 84,86 km/h Schnitt den Berg, im Heck den 3,0-l-V12 mit 486 PS, der 850 kg leichte Wagen wurde über ein 5-Gang-Getriebe geschaltet. Endergebnis: Rang 3, aber eindeutig moralischer Sieger.

H. P. Müller beim Großglockner-Rennen 1939.
Foto: PS Speicher

Das Schicksal der beiden Typ 650 ist hingegen nicht so dramatisch. Im Automuseum PS.Speicher in Einbeck nahe Wolfsburg steht einer der beiden, voll fahrbereit, mit nicht ganz originalen vier Auto-Union-Ringen am Bug. Er wurde quasi eingebürgert, nachdem er in DDR-Zeiten als "Film-Ferrari" verunstaltet worden war.

Kenner bezeichnen wertvolle Automobile als Kulturgüter – manchmal sind sie auch bedeutsame Zeitzeugen. (Peter Urbanek, 21.1.2018)