In vielen Branchen bleiben trotz hoher Arbeitslosigkeit Stellen lange unbesetzt. Einen Grund dafür sieht die Regierung in mangelnden Auflagen für Arbeitslose, vom AMS vermittelte Stellen anzunehmen.

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Wien – "Sie können von mir nicht verlangen, dass ich zehn Minuten von der Bushaltestelle zur Firma gehe. Das ist für mich nicht zumutbar! Können mir solche Stellen überhaupt zugewiesen werden?" So lautet eine der "häufig gestellten Fragen" auf der Homepage des Arbeitsmarktservice (AMS) zum Thema Zumutbarkeit – also welche vermittelten Stellen ein Erwerbsloser annehmen muss, um seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld zu erhalten.

Im Fall des Fußweges von der Bushaltestelle gibt es keine Nachsicht, solange die Stelle "sittlich und körperlich geeignet" und sich mit etwaige Betreuungspflichten vereinbaren lässt. Andere Regeln sind der türkis-blauen Koalition aber zu lax.

Abstieg im EU-Vergleich

Zu erkennen sei dies am relativen Abstieg des heimischen Arbeitsmarkts im europäischen Vergleich. Bis Oktober 2014 war in keinem anderen EU-Land die Arbeitslosigkeit so niedrig wie hierzulande. Seither hat Österreich stetig an Rängen eingebüßt und lag im Dezember 2017 auf Platz neun – immer noch überdurchschnittlich, aber ein negativer Trend.

Die aktuellen Zumutbarkeitsbestimmungen würden laut der Regierung dazu beitragen, dass Personen länger in der Arbeitslosigkeit verharren und in die Inaktivitätsfalle geraten. Je länger sie andauert, desto schwieriger ist es, eine Stelle zu finden, sind sich Experten einig. Daher sollen laut Regierungsprogramm einerseits zumutbare Wegzeiten zum Arbeitsplatz ausgedehnt und andererseits die akzeptable Bezahlung und Branche einer Stelle ausgeweitet werden.

Tatsächlich sei Österreich im internationalen Vergleich bei der Zumutbarkeit nicht besonders streng, wie der Arbeitsmarktexperte Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien (IHS) sagt. "Das gilt gerade für die räumliche und berufliche Mobilität." Bei Ersterem hat die Regierung bereits konkrete Reformpläne vorgestellt.

Wegzeit ausbauen

Derzeit sehen die Zumutbarkeitsbestimmungen vor, dass Vollzeitstellen immer dann angenommen werden müssen, wenn die tägliche Wegzeit – insgesamt hin und retour – maximal zwei Stunden beträgt. Die Regierung möchte diese Dauer auf 2,5 Stunden ausweiten. Für Teilzeitjobs gilt jetzt eine zumutbare Wegzeit von 1,5 Stunden, künftig sollen es laut türkis-blauen Plänen zwei Stunden sein.

Laut Gesetz müssen Arbeitslose jeden Job in ganz Österreich annehmen, wenn der Arbeitgeber "eine entsprechende Unterkunft am Arbeitsort zur Verfügung stellt". Laut AMS kommt es vor allem im Tourismus, aber auch in der Landwirtschaft und gelegentlich im Bau vor, dass Arbeitgeber Quartiere bereitstellen. Genaue Daten über die Häufigkeit solcher Maßnahmen fehlen. Man kann aber vom AMS nicht zum Umzug gezwungen werden, wenn man sich selbst eine neue Wohnung in einem weiter entfernten Bundesland suchen müsste.

Strenger Norden

Andernorts in Europa ist man strenger, wie eine Vergleichsstudie der OECD zeigt. In Ländern wie Norwegen müssen Arbeitslose vermittelte Stellen im ganzen Land annehmen – von Oslo bis Hammerfest. Im flächenmäßig kleineren Dänemark verlängern sich die zumutbaren Wegzeiten ausgehend von drei Stunden mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit. Auch in Deutschland ist Umziehen kein Ausschlussgrund. "Ich weiß nicht, ob es Sinn macht, für einen Saisonjob von Wien nach Tirol zu ziehen. Bei der Mobilität – vor allem bei Jungen – kann man Deutschland schon als Vorbild nehmen", sagt Hofer.

Eine Studie am deutschen Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat gezeigt, dass die Beschäftigung vor allem unter kinderlosen Frauen aus strukturschwachen Regionen gestiegen ist, nachdem zumutbaren Wegzeiten verschärft worden sind. Der Effekt hielt sich aber in Grenzen und betraf kaum Männer.

Berufsschutz überprüfen

Auch beim Berufsschutz will die türkis-blaue Koalition die aktuellen Bestimmungen prüfen. Derzeit gelten in den ersten 100 Tagen der Arbeitslosigkeit grundsätzlich nur Jobs im bisherigen Tätigkeitsbereich als zumutbar, bezahlt werden muss mindestens das jeweilige Kollektivvertragsniveau. Erfolgt eine Vermittlung auf einen anderen Beruf, gibt es auch noch einen zusätzlichen Entgeltschutz. In den ersten 120 Tagen der Arbeitslosigkeit muss man nur Jobs annehmen, bei denen man zumindest 80 Prozent des letzten Gehalts verdient, danach sinkt diese Grenze auf 75 Prozent.

In Norwegen etwa gibt es keinen Berufsschutz, gleiches gilt in Dänemark. In Deutschland sinkt der Entgeltschutz stärker mit der Dauer der Arbeitslosigkeit.

Generöse Dänen

Strenge Zumutbarkeitsbestimmungen müssen nicht mit mangelnden positiven, finanziellen Anreizen einhergehen, wie vor allem die Dänen vorzeigen. Kein Land ist generöser bei der Höhe des Arbeitslosengeldes. Die Forscher der OECD betonen, wie wichtig es ist, finanzielle Anreize mit Auflagen abzustimmen. Die Kombination aus laxer Zumutbarkeit und geringem Unterschied zwischen Löhnen und Arbeitslosengeld wirkt sich negativ auf die Beschäftigung aus. Demnach zählt Österreich eher zu den Sorgenkindern.

Allerdings dürfe man nicht vergessen, dass strikte Zumutbarkeitsbestimmungen kein Allheilmittel sind und Betroffene belastet. "Stärkere Anreize werden weniger bringen, wenn keine Arbeitsplätze da sind", sagt Hofer. In der aktuell guten konjunkturellen Lage mache es aber durchaus Sinn, über Zumutbarkeit zu reden. (Leopold Stefan, 23.1.2018)