Mikroskopaufnahme von Wasserflöhen: Vom Kopf bis zum Anfang des Stachels ist das Tier circa 2 mm lang. Der Stachel allein misst ungefähr 8 bis 10 Millimeter

Foto: Wassercluster

Wien – Eigentlich hat sich für ihn niemand wirklich interessiert, bevor er als blinder Passagier auf großen Containerschiffen von Europa nach Kanada gelangte. Erst als er sich von dort in den nordamerikanischen Seen stärker verbreitete, als der einheimischen Tier- und Menschenwelt zuträglich war, wurde der Bythotrephes longimanus ein Thema der Forschung.

Trotz seiner Zugehörigkeit zu einer der vielen Kleinkrebsfamilien wird er landläufig als Wasserfloh bezeichnet. Das ist seiner hüpfenden Fortbewegungsart im Wasser geschuldet und seiner geringen Körpergröße von wenigen Millimetern. Das "longimanus" hat ihm sein Schwanz eingetragen, der bis zu einen Zentimeter lang wird. Und was macht den kleinen Einwanderer so unbeliebt in seiner neuen Heimat? "Die Ansiedlung dieses räuberischen Wasserflohs in den Great Lakes und etwa 150 anderen Seen Nordamerikas hat weitreichende Veränderungen in der Diversität und Häufigkeit von Zooplankton verursacht", erklärt die Hydrobiologin Radka Ptacnikova. "Das wiederum führte zu einem verstärkten Algenwachstum." Vier Jahre hat sie sich im US-Staat Michigan der Erforschung des invasiven Wasserflohs gewidmet. "In den USA hat man mittlerweile viel über dieses Tier herausgefunden", sagt die Wissenschafterin. In Europa dagegen ist das Wissen um seine ökologische Rolle in heimischen Gewässern noch sehr bescheiden.

Im ursprünglichen Umfeld

Das soll sich ändern. Als Mitarbeiterin am Wassercluster Lunz, einem interuniversitären Zentrum zur Erforschung aquatischer Ökosysteme, untersucht Radka Ptacnikova den langschwänzigen Wasserfloh nun nämlich auch in seinem ursprünglichen Lebensumfeld. "Wir vermuten, dass Wasserflöhe auch in österreichischen Seen eine größere Rolle spielen, als man bisher angenommen hat."

So bieten unter anderem alle großen Salzkammergut-Seen dem reiselustigen Tierchen optimale Lebensbedingungen. Tief, klar und kühl ist ihr Wasser – genau so, wie es der Mini-Krebs liebt. Seine Nahrung besteht vor allem aus Zooplankton, das sich selbst wiederum von Algen ernährt. Wenn sich also der Wasserfloh stark vermehrt, gibt es weniger algenfressendes Zooplankton, das Algenwachstum nimmt zu, und die Wasserqualität wird schlechter.

Ein Szenario, das aufgrund der Klimaerwärmung auch in Europa drohen könnte. "Im italienischen Lago Maggiore beispielsweise hat man in den letzten zehn Jahren bereits eine stark angewachsene Wasserflohpopulation festgestellt und als Folge davon ein vermehrtes Algenwachstum", berichtet Radka Ptacnikova. Vermehren sich die Wasserflöhe zu stark, leiden auch etliche kleine Fischarten darunter, da sich diese ebenfalls von Zooplankton ernähren. Der Bythotrephes longimanus selbst steht übrigens auf dem Speiseplan einiger Fischarten.

Verändert sich die Zahl der Wasserflöhe, kann es also zu einem Umbau des gesamten Nahrungsnetzes in einem See kommen. Nun habe man in den USA und Kanada zwar schon etliche Erkenntnisse über die ökologischen Folgen der unerwünschten Zuwanderung gesammelt, doch auf Europa könne man diese nicht übertragen, betont Radka Ptacnikova. "Wir vermuten, dass der Wasserfloh in heimischen Gewässern einen geringeren Einfluss auf seine Beute hat als in den nordamerikanischen Seen."

Diese noch zu überprüfende Hypothese baut auf dem Prinzip der Koevolution des heimischen Wasserflohs und seiner zooplanktischen Beute auf: Wenn ein tierischer Räuber und seine Beutetiere Tausende von Jahren im gleichen Ökosystem zusammenleben, haben sie viel Zeit, sich aufeinander einzustellen. Das europäische Zooplankton konnte Strategien entwickeln, den Wasserflohhorden besser zu entkommen – etwa indem es schnell flüchtet oder sich ein Versteck sucht.

Keine Koevolution

"Die Arten eines Nahrungsnetzes befinden sich in einem permanenten gegenseitigen Anpassungsprozess: Die Räuber werden immer geschickter beim Fangen ihrer Beute, während diese immer besser zu entkommen lernt", sagt die Hydrobiologin. In der neuen Heimat des Wasserflohs hat eine solche Koevolution jedoch nie stattgefunden.

Seine Beute hatte deshalb keine Gelegenheit, sich Gegenstrategien "anzutrainieren", und begegnet dem invasiven Wasserfloh sozusagen in voller Naivität. "Wahrscheinlich gehen die großen Veränderungen, die neu eingewanderte Arten mit sich bringen, nicht zuletzt auf das Fehlen der Koevolution zurück", vermutet Radka Ptacnikova. Auch das will die Forscherin gemeinsam mit drei Experten aus den USA, Deutschland und Tschechien in ihrem aktuellen vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt untersuchen.

Dazu werden mehrere österreichische Bergseen miteinander verglichen, die sich zwar hinsichtlich der vorkommenden Menge an Wasserflöhen unterscheiden, sonst aber ähnliche Lebensgemeinschaften aufweisen. Falls es also durch den Klimawandel auch in Österreich zu einer folgenreichen Wasserflohvermehrung kommt, wird man in einigen Jahren auf das für Gegenmaßnahmen erforderliche Grundlagenwissen zurückgreifen können. (Doris Griesser, 30.1.2018)