Paul Thomas Anderson: Für die passende Garderobe bleibt beim Drehen keine Zeit.

Foto: Laurie Sparham / Focus Features

STANDARD: "Phantom Thread" ("Der seidene Faden") ist ein Beziehungsfilm, der in der hermetischen Welt eines Modemachers der 1950er-Jahre angesiedelt ist. Warum gerade dieses Gewerbe?

Anderson: Dafür gibt es so viele Gründe! Zum einen, weil es sich bei Reynolds Woodcock um einen Mann handelt, der unglaublich komplizierte Liebesbeziehungen hat, zugleich aber von so vielen Frauen umgeben ist, die die Arbeit für ihn tun. Die Schwester, die den finanziellen Teil übernimmt, seine Mutter, die wie ein Geist über dem Ganzen schwebt, all die anderen Frauen in ihren Arbeitskitteln. Es ist eine einzigartige Landschaft, die man nur in diesem Modebereich antrifft. Vielleicht heutzutage nicht mehr so sehr, da es nun mehr Männer gibt, mehr Durchmischung.

Ein Modemacher, der keine Frau nach Maß bekommt: Daniel Day-Lewis und Vicky Krieps in "Der seidene Faden".
Foto: Laurie Sparham / Focus Features

STANDARD: Eine Inspiration war der spanische Couturier Cristóbal Balenciaga. Wie gut kannten Sie dieses Milieu davor?

Anderson: Gar nicht. Ich habe ein paar Dokumentationen gesehen und Project Runway, eine TV-Castingshow zu Modedesign. Ich mochte das Metier genug, um in eine Vogue hineinzublättern, wenn ich eine wo liegen sah. Aber ich musste all die Grundlagen lernen. Es gab Aspekte am Schneidern, die mir wie eine fremde Sprache erschienen sind. Aber wir haben es mit professioneller Hilfe zum Glück herausgefunden.

STANDARD: Woodcock ist ein kreativer Kopf, der viel auf seine Rituale und rigiden Überzeugungen hält. Kennen Sie Vergleichbares?

Anderson: Nicht beim Filmemachen, weil mich das so sehr in Beschlag nimmt. Man schläft nur fünf, sechs Stunden während des Drehs. Da versucht man nur, einen Fuß vor den anderen zu bekommen. Es gibt ein paar kleinere Rituale, etwa wenn man sich in der Früh mit einem Kaffee zum Schreiben hinsetzt – aber nichts wie einen Tisch zweimal zu berühren. Oder anderes Spinnerzeug. Oft trägt man die ganze Zeit dasselbe Gewand – außer den Unterhosen natürlich. Das ist kein Aberglaube. Für die Wahl der passenden Garderobe ist keine Zeit.

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STANDARD: Daniel Day-Lewis hat angekündigt, dass dies sein letzter Film sein wird. Er meinte auch, Sie beide seien am Ende des Drehs recht melancholisch gewesen.

Anderson: Ich glaube, er hat das falsch verstanden, ich habe keine Traurigkeit verspürt. Es gab allerdings Szenen im Film, die uns beim Schreiben komisch vorkamen, aufgrund der absurd brüsken Art, mit der Reynolds andere Menschen behandelt. Aber wenn man diese Sätze dann ausspricht, von Angesicht zu Angesicht, dann sind sie gemein und verletzend. Darüber habe ich mit Daniel gesprochen – wie der Humor dieser Grausamkeiten verlorengeht.

STANDARD: Es ist Alma, die die Geschichte in der Vergangenheitsform erzählt. Warum haben Sie diese Form gewählt?

Anderson: Das ist ein Stilmittel, vielleicht ein bisschen billig ... Doch man trifft darauf immer wieder – im Gothic-Romance-Genre, in Büchern Daphne du Mauriers oder in denen von Caroline Blackwood. Shirley Jackson macht es manchmal, Hitchcock in Filmen wie Rebecca. Die Frau beginnt die Geschichte als Erzählerin. Wir haben ständig die Gegenwarts- und Vergangenheitsform durchmischt, um die Spannung zuzuspitzen. Dinge auszuerzählen würde auch zu lange dauern. Man nimmt auf diese Weise hoffentlich auch Almas Blickwinkel ein.

STANDARD: Es ist nicht Woodcocks Geschichte.

Anderson: Nicht für mich. Er deklariert sich in der ersten halben Stunde: "Ich werde nicht heiraten, ich esse diese und jene Dinge nicht etc." Die Frage des Films ist, wie diese Frau mit ihrem so liebenswerten Gesicht mit diesem Egomanen zurande kommt. Man denkt: Wie soll das funktionieren, wie kann es ihr gelingen, seine engstirnige Art zu durchbrechen?

STANDARD: Der Film spielt mit der Idee, dass sie drastischen Mitteln nicht abgeneigt ist ...

Anderson: Sie will ihn bestimmt nicht umbringen, sie will ihn nur ein bisschen durchrütteln. Ihm Angst einjagen. Ich denke, wir haben das ganz gut hingekriegt. Es ging mir darum, eine Situation zu schaffen, in der sich Alma um Reynolds kümmern kann. Der Einfall zum Film kam mir, als ich einmal länger krank wurde und von meiner Frau mit dieser sorgenvollen Miene gepflegt wurde.

STANDARD: Das Tolle an dem Film sind seine Tonlagenwechsel. Könnte man sagen, dass Sie durch diese hindurch von den Machtgefällen einer Beziehung erzählen?

Anderson: Das ist eine gute Art, es zu beschreiben. Von diesem Gefühl der anfänglichen Euphorie bis zum Vergiften des Partners am Tag darauf. Oder man verspürt selbst den Drang, vergiftet zu werden. Das garantiert, dass die Sache aufregend bleibt. Stets ist da diese Gefahr, an einem Omelett oder einem Muffin zu sterben.

STANDARD: Die Luxemburgerin Vicky Krieps hat ihre erste große internationale Rolle – und sie macht das großartig. Hatte sie viel Respekt vor Daniel Day-Lewis?

Anderson: Es wäre wohl für viele einschüchternd gewesen, sich mit einem Schauspieler wie ihm so zu messen. Aber sie ist wirklich zäh und nicht unterzukriegen, ganz ähnlich wie Alma. Sie gibt sich nicht geschlagen, sondern wird immer einen Weg suchen zu überleben, zu gewinnen.

Daniel Day-Lewis und Vicky Krieps in "Der seidene Faden".
Foto: Laurie Sparham / Focus Features

STANDARD: Im Unterschied zu "There Will Be Blood", Ihrem ersten Film mit Day-Lewis, haben Sie diesen mit ihm gemeinsam entwickelt. Hat das viel verändert?

Anderson: Das war nicht der größte Unterschied. Im ersten Film gab es nur praktische Entscheidungen: Wenn man im Westen nach Öl sucht, wählt man andere Wege als in der Modebranche, nämlich solche, die einem helfen, nicht zugrunde zu gehen. Diesmal drehte sich alles um Status und Geschmack. Ein Großteil der Arbeit lag darin, Gläser, Tischgedecke und Porzellan zu wählen, Socken, Schuhe, Schuhbänder etc.

STANDARD: Weil das alles etwas über ihn aussagt.

Anderson: Es ist sein Geschäft.

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FILMKRITIK

Liebe hinterlässt raue Nahtstellen

Das erste Aufeinandertreffen ist bezeichnend. Der Couturier bestellt bei seiner zukünftigen Frau, zu diesem Zeitpunkt noch Kellnerin, Frühstück. Er ordert die halbe Karte, und weil sein Nachdruck auch eine Form von Balz ist und zugleich Ausdruck seiner Gier, errötet sie.

Paul Thomas Andersons Film Phantom Thread (Der seidene Faden) ist kein romantischer Liebesfilm in der reglementierten Welt eines britischen Modemachers der 1950er-Jahre. Schon daran, wie dieser Reynolds Woodcock (Daniel Day-Lewis) an Alma später Maß nehmen wird, zeigt er, dass er es gewohnt ist, keinen Millimeter von seinen Vorstellungen abzurücken. Man denkt gleich an den Pygmalion-Mythos, an die alte Idee eines Liebessklaven.

Doch Alma ist in der Darstellung der Luxemburgerin Vicky Krieps nur auf den ersten Blick die willfährige Muse des Meisters. In dieser Frau lodert ein wilder Widerstandsgeist. Ihre Liebe manifestiert sich auch darin, dass sie den Blick nicht abwenden kann; dass sie nicht aufhört, auf ihrer Position zu bestehen.

Anderson hat einen Beziehungsfilm gedreht, einen der wenigen, der sich für Abläufe unter der Oberfläche, für die Macht und Ohnmacht zwischen Paaren tatsächlich interessiert. Stilistisch nimmt der US-Regisseur, seit jeher chamäleonhaft souverän in der Rekonstruktion von Epochen, am Genre des britischen Schauerstücks Maß. Doch es bleibt bei subtilen Andeutungen und falschen Fährten, die den Zuschauer gleichermaßen verführen wie dem Rosenkrieg verblüffende Seiten abgewinnen.

Wenig ist in diesem wundersamen, exzellent gespielten Film vorauszusehen. Er bleibt dunkel, unergründlich und mitunter komisch wie die Liebe selbst. (Dominik Kamalzadeh, 31.1.2018)