(Chalet, innen. An einem Salontisch vor einem offenen Kamin, dann und wann an riesigen Cognacschwenkern nippend, der Schriftsteller Geiger und die Literaturkritikerin Strigl.)

STRIGL: Ich möchte dir gratulieren. Deine Literatur ist ja immer wahrhaftig und von existenzieller Wucht, aber Unter der Drachenwand in seiner lässigen Könnerschaft ist doch noch einmal ein gewaltiger Schritt weiter.

GEIGER: Danke. Der Preis, diesen Roman zu schreiben, war hoch, physisch und psychisch. So etwas schreibt man nur auf der Basis von rücksichtsloser Selbstausbeutung. Im Gegensatz beispielsweise zu Günter Grass, der, übrigens auch in seinem Roman Die Blechtrommel, den Nationalsozialismus verharmlost hat (heute wissen wir ja, warum: weil er selbst involviert war), habe ich zeigen wollen, was Menschen in Ausnahmesituationen, was ein junger Mann im Krieg empfindet.

STRIGL: Aus tausenden Soldatenbriefen und Aufzeichnungen hast du deine Figuren geschaffen, nicht wahr?

GEIGER: Ja. Aber was ich erzähle, ist nicht recherchierbar, das unterscheidet mich von einem Historiker.

STRIGL: Das heißt, nichts von dem, was du schreibst, ist ungeprüft übernommen, vorgeformt, alles ist durch die in deinen Protagonisten beglaubigte Erfahrung des literarischen Forschers erhärtet, ist gewogen und für recht befunden, nicht wahr?

GEIGER: Äh ... Wie ...? Könntest du das noch einmal ... – ?

STRIGL (eifrig): Nichts von dem, was du schreibst, ist ungeprüft übernommen, vorgeformt, alles ist durch die in deinen Protagonisten beglaubigte Erfahrung des literarischen Forschers erhärtet, ist gewogen und für recht befunden.

GEIGER: Du sagst es. Prägnanter hätte ich es selbst nicht formulieren können. Ich bin ja, wie du weißt, kein Konjunkturschreiber, mir geht es um die Bedingungen der menschlichen Existenz. Mein Roman ist ein Gesellschaftsroman, ein

Liebesroman, der eine Lanze für die Privatheit der menschlichen Existenz vor einem totalitären Hintergrund bricht.

STRIGL (begeistert): Nur so kann man heute noch über den Zweiten Weltkrieg und seine Lebensrealität überhaupt schreiben.

GEIGER: Ich möchte aber auch an die jüngste Vergangenheit in Österreich erinnern. Das Engagement mancher Schriftsteller gegen Jörg Haider hat mehr Schaden als Nutzen gebracht. Es hat nur Fronten geschaffen, doch es geht darum, Fronten aufzubrechen. Wie sagt doch eine meiner Figuren? "Es ist leichter, Menschen zu Hass anzustacheln, als sie zu Liebe und Achtung zu bringen." Das kann man als Schlüsselsatz sehen.

STRIGL (verzückt): "Es ist leichter, Menschen zu Hass anzustacheln, als sie zu Liebe und Achtung zu bringen"! Was für eine Erkenntnis! Nur so kann man heute noch über –

GEIGER: Ich weiß! Aber ich werde mich nicht zufriedengeben! Ich muss noch weiter gehen! Sofort nach dem Abschluss meiner Arbeit an Unter der Drachenwand habe ich ja begonnen, an meinem nächsten Projekt zu arbeiten, natürlich auch diesmal auf der Basis von rücksichtsloser Selbstausbeutung! (Senkt die Stimme:) Versprich mir, niemanden davon zu erzählen, aber ich bin zuversichtlich, dass ich in zwei bis drei Jahren das Rad erfunden haben werde.

STRIGL (fällt in Ohnmacht)

(Vorhang)

Material: "Wir sind auf Überleben programmiert", News 1-2/2018

(Antonio Fian , 2.2.2018)