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Immer öfter wird in Geheimdiensten betont, dass der Norden nur Monate davon entfernt sei, die USA mit Raketen atomar bombardieren zu können.

Foto: Kim Kwang Hyon/AP/dapd

Wer sich von Nordkoreas Führung das übliche Programm erwartet, wurde jüngst oft enttäuscht. Selbst die Militärparade zum 70. Gründungstag hat der Staat am Donnerstag nicht mit jenem Übermaß an Militärpomp begangen, der von Pjöngjang gemeinhin erwartet wurde und wird. In Nordkoreas TV wurde die Veranstaltung sogar nur zeitverzögert gezeigt – vor Wochen noch wäre das schwer vorstellbar gewesen.

Das ist nicht durch plötzliche Milde zu erklären. Diktator Kim Jong-un und sein militärisch durchdrungener Staatsapparat haben keines ihrer Ziele aufgegeben: Sie wollen noch immer offiziell zum Atomstaat aufsteigen. Von ihren atomaren, biologischen und chemischen Waffen geht noch immer große Gefahr für alle Nachbarstaaten aus – und darüber hinaus. Und Nordkoreas Ziel bleibt auch weiterhin eine wiedervereinigte Halbinsel unter weiser Anleitung des Obersten Führers: Kim Jong-un. Von den zahllosen Menschenrechtsverletzungen im Inland ganz zu schweigen.

Umso erstaunlicher ist also, wie schnell es dem Regime gelungen ist, die Tonart zu wechseln. Statt Flammenmeeren und Atompilzen finden sich plötzlich Friede und Verständigung im Wörterbuch der nordkoreanischen Propaganda. Kim Jong-un hat es mit wenigen Schachzügen geschafft, das Image seines Landes zu wandeln. Aus Nordkorea, dem Gottseibeiuns der internationalen Politik, wurde Nordkorea, der umworbene Verhandlungspartner, dessen unzählige Provokationen, Raketen- und Atomtests der vergangenen Jahre fast schon in den Hintergrund treten.

Die Gefahr ist nicht vorbei

Profitiert hat das Land dabei vom Zusammentreffen mehrerer Umstände. Die Wahl des konzilianten Moon Jae-in zum Präsidenten Südkoreas wurde erst durch den Korruptionsfall um seine konservative Vorgängerin Park Geun-hye möglich. Und die Olympischen Spiele in Pyeongchang haben der Diplomatie in Pjöngjang eine große Gelegenheit eröffnet.

Vor allem hilft den Nordkoreanern, dass sie endlich jenen Gegner haben, den sie sich wünschen: Donald Trump. Der US-Präsident wollte mit seinen Worten von der "totalen Zerstörung" Kim Jong-un in Angst versetzen. Stattdessen hat das Fehlen strategischen Denkens in den USA vielmehr Seoul schlaflose Nächte beschert. Gut möglich, dass die Aussicht auf einen Krieg mit vielleicht Millionen toten Südkoreanern in Seoul für noch größere Milde sorgt. Die Annäherung macht es den USA schwerer, Verständnis für Sanktionen oder gar für einen Waffengang zu finden.

Die Gefahr ist nicht vorbei. Die Annäherung zwischen Nord- und Südkorea sehen viele in den USA erst recht mit Sorge. Immer öfter wird in Geheimdiensten betont, dass der Norden nur Monate davon entfernt sei, die USA mit Raketen atomar bombardieren zu können. Immer öfter werden öffentlich Szenarien diskutiert, wie man Kim mit gezielten Schlägen gegen Atomeinrichtungen eine "blutige Nase" schlagen könnte, ohne den Atomkrieg auszulösen. Eine Idee, deren Risiken sich kaum seriös kalkulieren lassen.

Ist es also in Ordnung, vor einem brutalen Diktator zu buckeln, der seinen Nachbarn erobern will und sogar dessen Vernichtung wünscht? Eine hässliche Vorstellung. Die Gefahr ist groß, dass Pjöngjang statt des kleinen Fingers gleich die ganze Hand, die ganze Halbinsel zu nehmen versucht. Die Alternative lautet, gleich jetzt Krieg zu führen – den schlimmsten seit Dekaden. Sie ist noch hässlicher. (Manuel Escher, 9.2.2018)