Diplomatie ist, wenn man so tut, als ob alles ziemlich gut läuft und mindestens eine Seite weiß, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Diplomatie ist in der internationalen Politik etwas für schwierige Patienten. Und Diplomatie ist natürlich ein Geschäft, geben und nehmen, freundlich schweigen. Deniz Yücels Freilassung ist ein solches Diplomatenstück. Ach ja: Und der deutsch-türkische Journalist hat ein Jahr seines Lebens in einer Zelle verbracht, ohne Anklage und die meiste Zeit in Isolation. Diplomatie war notwendig, um dieses Unrecht zu beenden.

Die Frage ist: Warum jetzt? Und was erhält Erdogans Türkei dafür im Gegenzug? Denn Deniz Yücel, der Korrespondent der deutschen Tageszeitung Die Welt, muss ja ein brandgefährlicher Mann sein für die Türkei. Ein "Agent" der Deutschen, wie Staatschef Tayyip Erdogan und sein Außenminister öffentlich erklärt hatten; ein Schreiber, der Hass im türkischen Volk zu säen versucht und Propagandaarbeit für die kurdische Terrororganisation PKK erledigt, wie die türkische Staatsanwaltschaft erkannt haben will. Einen solchen Mann lässt die Türkei also nun ziehen.

Ein halbes Dutzend politischer Gefangener mit deutschem Pass zählt die Regierung in Berlin derzeit noch in der Türkei. Yücel war einer von ihnen und am Ende, nach der Freilassung des Menschenrechtlers Peter Steudtner, der Journalistin Mesale Tolu und des Pilgers David Britsch, der wichtigste Fall. Ohne Yücel keine Rückkehr zu normalen Beziehungen, hatte Berlin den Türken erklärt.

Viele Freunde hat die Türkei von Erdogan nicht mehr. Schon gar nicht im Westen. Nach einem Jahr im Schurkenmodus spielt sie nun sanftere Töne für das europäische Ausland. Vom Nutzen eines maßvolleren Umgangs mit den EU-Staaten musste die politische Führung in Ankara aber erst überzeugt werden. Yücels Freilassung war keine Hauruckentscheidung, sondern offensichtlich das Ergebnis eines längeren Gesprächsprozesses, vor allem zwischen den Außenministern beider Länder. Und angeblich ohne "Deal", wie Berlin versichert. Will heißen: ohne Rüstungsgeschäft – doch durchaus mit möglichen politischen Vorteilen für Ankara. Deutschland könnte jetzt Ja zur Vertiefung der Zollunion mit der Türkei sagen.

Nutzt die Yücel-Diplomatie den anderen Journalisten in der Türkei? Sechs von ihnen hat die Justiz gerade zu lebenslanger Haft verurteilt. Unrechtsurteile kann sich die Türkei auf Dauer nicht leisten. Das zeigt der Fall Yücel. (Markus Bernath, 16.2.2018)