Bild nicht mehr verfügbar.

Teuer kommt die Staatsbahn der Prestigeschnellzug TGV vor allem im Betrieb.

Foto: REUTERS/Charles Platiau

Paris – Für Macron wird es ernst. Seit Monaten reformiert er sein Land ohne nennenswerte Widerstände. Dank seiner politischen Legitimiation und Stellung brachte er im letzten Herbst sogar seine Arbeitsmarktreform glatt über die Bühne. Doch langsam verfliegt der Schwung der ersten Tage. Nun muss sich Macron einem Gegner stellen, der bisher noch jedem Staatspräsidenten getrotzt hat: Die 150 000 "cheminots" (Eisenbahner) verkörpern Frankreichs letzte und mächtigste Gewerkschaftsfestung – ein schlafender Riese, der auf historischen Lorbeeren und ebensolchen Privilegien ruht und es nicht mag, wenn ihm eine Regierung auf den Zehen herumtanzt.

Macron hat indessen gar keine Wahl. Die von der EU 2016 beschlossene Öffnung des Bahnverkehrs in der EU tritt schon ab Ende 2019 schrittweise in Kraft. Damit fällt auch das Monopol der SNCF. Und die Konkurrenten stehen bereit. Das unterscheidet den Eisenbahn- vom Strommarkt: Dessen Liberalisierung änderte in den letzten Jahren faktisch kaum etwas an der Vormachtstellung der "Electricité de France". Die SNCF hat hingegen mächtige Widersacher zu fürchten, allen voran die Deutsche Bahn (DB), die schon ICE-Züge bis nach Paris unterhält – und seit langem ein waches Auge auf den französischen Markt hat.

Koloss auf tönernen Beinen

Die SNCF, ein Koloss auf tönernden Füssen, hat dem wenig entgegenzusetzen. Die TGV-Züge, Stolz einer ganzen Nation, insgesamt pünktlicher und billiger als die deutschen Hochgeschwindigkeitszüge, kaschieren nur, in welch miserablenm Zustand die SNCF ist. Zu einer Unternehmensschuld von 46 Mrd. Euro kommen jedes Jahr drei Milliarden dazu. Mehr als die Hälfte, nämlich 60 Prozent, berappen direkt die Steuerzahler mit je 1000 Euro im Jahr – obwohl das nur wenigen Franzosen bewusst sein dürfte. Lokale und regionale Zuglinien verfallen mehr und mehr. Pannen und Unfälle mehren sich auf den alten Regionalstrecken.

Was tun? Die Regierung beauftragte den früheren Air France-Vorsteher Jean-Cyril Spinetta schon 2017, die Gründe zu nennen. Sein soeben erschienener Bericht spricht Klartext: Das defizitäre TGV-Netz verschlingt wohl Milliarden – noch teurer sind aber die Betriebskosten, die rund ein Viertel über denen der Deutschen Bahn liegen. Ins Geld gehen vor allem die "cheminots", genauer gesagt ihre seit Jahrzehnten angesammelten Vorrechte. Das fahrende Personal der SNCF arbeitet 35 Stunden pro Woche (DB: 38) und kommt insgesamt auf 50 Urlaubstage im Jahr (DB: 29); es geht mit nicht ganz 51 Jahren in Rente (DB: 63) und profitiert von einer besseren Rentenberechnung als andere Franzosen.

Bahnreform

Dieses Eisenbahneertatut steht im Mittelpunkt der Bahnreform, die Premierminister Edouard Philippe am Montag vorstellen will. Der von den Konservativen zu Macron übergelaufene Regierungschef will sich nach eigenen Worten an den "präzisen und luziden" Folgerungen des Spinetta-Berichts ausrichten. Dieser empfiehlt, keine neuen TGV-Linien zu bauen und schlecht benutzte Landstrecken ganz stillzulegen; gefördert werden soll hingegen der Nahverkehr in und zwischen den Städten.

5000 Angestellte sollen zudem in Frührente gehen – ein Wort, das den "cheminots" fremd in den Ohren klingen muss. Am brisantesten ist die Absicht, Neueinstellungen bei der SNCF nicht mehr nach altem Statut, sondern mit normalen Arbeitsverträgen vorzunehmen.

Bestehende Belegschaft bleibt ungeschoren

Die heutigen Bediensteten blieben damit weitgehend verschont. Philippe und Macron versuchen die Belegschaft damit stillzuhalten. Doch der schlafende Riese ist am Erwachen. Das gilt vorab für die ehemals kommunistische Gewerkschaft CGT, die bei der Staatsbahn seit dem zweiten Weltkrieg – als sie Eisenbahnzüge der Nazis sabotierte – den Ton angibt. CGT-Chef Philippe Martinez spricht bereits von "Schocktherapie" und "Privatisierung" – Begriffe, die SNCF-Vorsteher Guillaume Pepy weit von sich weist. Das Statut will und kann er jedoch nicht garantieren.

Deshalb plant die CGT am 22. März einen ersten – verlängerbaren – Streiktag, noch bevor Premier Philippe seine Bahnreform in allen Details vorgestellt hat. Die Franzosen erinnern sich bereits an 1995, als die "cheminots" das Land wochenlang blockiert und die Landeswirtschaft gelähmt hatten – worauf die Regierung die Reform zurückziehen musste.

Erneut deutet alles auf einen harten Konflikt hin. Macron weiß, dass nicht nur das Schicksal der SNCF vom Ausgang abhängt. Bringt er die Bahnreform durch, kann er auch das ebenso teure Rentensystem der Beamtenschaft modernisieren, wie er es schon im Präsidentschaftswahlkampf angekündigt hatte. Gerade deshalb werden die "cheminots" aber nicht allein dastehen. Macrons erster wirklicher Härtetest beginnt eben erst. (Stefan Brändle aus Paris, 26.2.2018)