Europas Regierungen kürzen Budgets und Kanäle der öffentlich-rechtlichen Sender.

Illustration: Magdalena Wallner

Ö3 hörte "ganz genau zu": Eine "Umfragewoche" lang lud der reichweitenstärkste Sender des Landes seine Hörerinnen und Hörer ein, es seinen Machern einmal reinzusagen – dem Senderchef, den Musik- und Nachrichtenmanagern, den Moderatoren.

Der ORF-Sender lauscht seinen Empfängern nicht zufällig in diesen bitterkalten Wintertagen: Am Sonntag stimmen die Schweizerinnen und Schweizer über die Rundfunkgebühr ab, die dort Billag heißt und ungefähr dasselbe ist wie in Österreich die GIS. (Update: Schweizer lehnen "No Billag"-Initiative gegen Rundfunkgebühren ab.)

Drei Viertel der Einnahmen der SRG liefert sie, beim ORF sind es rund zwei Drittel. Die Schweizer stimmen mit "Nobillag" aber auch über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in heutigen Dimensionen ab. In der Schweiz – und im übrigen Europa.

Die öffentlich organisierten und kontrollierten Sender ziehen sich längst in vielen Ländern warm an für die Debatte über ihre Zukunft. Und sie interessieren sich nun auch abseits von Musikwünschen, Titelchecks und Reichweitenstudien ganz besonders für Hörerinnen und Hörer.

Das Schweizer Fernsehen lud im Herbst 50 Zuschauer für eine Woche in seine Redaktion ein. Eine von ihnen, Bloggerin Yonni Meier, moderierte "10 vor 10", das Pendant zur "ZiB 2". Solche Abwechslung zu Armin Wolf und Lou Lorenz-Dittlbacher könnte auch österreichischen Politikern gefallen.

Ö3 fragt sein Publikum in einer längst angelaufenen Debatte über den ORF und seine Finanzierung. Im Dauerfeuer der FPÖ auf den ORF und seine "Zwangsgebühren", angeregt von einigen Fehlern in ORF-Berichten über sie oder ohne sie, versprechen die Freiheitlichen, die GIS abzuschaffen. Wie die ÖVP können sie sich gut vorstellen, den ORF stattdessen aus dem Bundesbudget zu finanzieren. Oberösterreichs FP-Chef Manfred Haimbuchner erklärte den Wunsch zuletzt so: "Es braucht dann jedes Jahr einen Beschluss im Nationalrat."

"Budget- und Steuerfinanzierung bewirken zwangsläufig ganz unmittelbaren Zugriff von Regierungen auf Rundfunk", sagt der Medienwissenschafter Andy Kaltenbrunner (Medienhaus Wien): "Das ORF-Management muss dann Jahr für Jahr mit Finanzminister, Medienminister und Kanzler verhandeln. Das hat unmittelbar negative Auswirkungen auf die Unabhängigkeit in den Köpfen und im ganzen Mediensystem."

Unmittelbar abhängig

Spaniens TVE wird etwa aus dem Budget finanziert. Kaltenbrunner: "Die politische Abhängigkeit des Senders ist sehr viel unmittelbarer, als wir das in Österreich oder in der Schweiz beobachten."

Finnland hat die Rundfunkgebühren 2013 abgeschafft und hebt seither eine – einkommensabhängige – Steuer für die öffentlich-rechtliche YLE ein. Das Gesetz darüber legte eine automatische jährliche Erhöhung fest, um die Teuerung auszugleichen. Nach dem ersten Jahr wurde diese Automatik gleich ausgesetzt: Bis 2020 sind die Mittel eingefroren.

In der Hälfte der Mitgliedsländer im europäischen Verband der öffentlichen Rundfunksender (EBU) gibt es derzeit Rundfunkgebühren oder Abgaben für alle Haushalte, wie auch in Deutschland seit 2013. Eine solche Abgabe will auch die Schweiz bis 2019 einheben, wenn ihre Bürger am Sonntag nicht für "Nobillag" stimmen. Italien hebt jährlich 100 Euro für den Rundfunk mit der Stromrechnung ein – wer weder Fernseher noch Radio hat, muss sich aktiv abmelden.

Fast zwei Dutzend EBU-Staaten finanzieren Rundfunk aus staatlichen Budgets oder, etwas unabhängiger, Fonds – etwa die Niederlande, Bulgarien, Estland, Lettland, Island, Malta, Andorra und Vatikanstadt. Rumänien strich die Rundfunkgebühr 2017 – ein erfolgreiches Wahlversprechen der Sozialdemokraten. Auch Ungarn finanziert seinen Rundfunk gebührenfrei aus Staatsgeld.

Eines der ersten Ziele Viktor Orbáns als Regierungschef mit parlamentarischer Zweidrittelmehrheit waren 2011 die öffentlichen Medien. Er ließ Radio- und TV-Anstalt sowie die ungarische Nachrichtenagentur MTI unter neuem, passendem Management zusammenlegen. An die 1000 Mitarbeiter, insbesondere regierungskritische, verloren bei der Gelegenheit ihren Job.

Im rechtskonservativ regierten Polen wurden die Aufsichts- und Führungsorgane des öffentlich-rechtlichen Radios und Fernsehens mit einem provisorischen Rundfunkgesetz Ende 2015 entfernt und vom Finanzminister neu beschickt. Eine neue Medienaufsicht drohte zuletzt einem Privatsender mit einer Millionenstrafe für den Bericht über Proteste gegen die Regierung.

In Dänemark will die rechtspopulistische Volkspartei die Rundfunkgebühr, nach der Schweiz eine der höchsten in Europa, abschaffen. Sie will den "Linkssender" DR – deutlich gekürzt – aus dem Staatsbudget finanzieren. Die dänische Minderheitsregierung braucht die Unterstützung dieser Volkspartei.

Danflix, Macronflix

Thema in Skandinavien ist eine aus bisherigen Rundfunkgebühren gespeiste Förderung für TV-Produktionen, die über eine gemeinsame Streamingplattform öffentlicher und privater Sender vertrieben werden soll. Arbeitstitel, frei nach Netflix: "Danflix".

Österreich vergibt neben Filmförderungen derzeit 13,5 Millionen Euro TV-Produktionsförderung und 15 Bundesmillionen für private Sendungen pro Jahr. Medienminister Gernot Blümel (ÖVP) will ORF und private Medien in einer Onlineplattform zusammenbringen; Programmaustausch zwischen Privat und Öffentlich ist Thema. Der ORF betreibt schon Streamingplattformen. Flimmit blieb kommerziell unter den Erwartungen und soll mit Gebührengeld weiterlaufen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wünscht sich ein europäisches Netflix, in dem Öffis und private Sender zusammenarbeiten. Frankreichs öffentlich-rechtlichen Sender soll er zuletzt als "Schande der Republik" bezeichnet haben: Zweistellige Millionenbeträge sollen sie 2018 einsparen (bei 4,5 Milliarden Euro Gesamtbudget, der ORF hat eine, die SRG 1,4 Milliarden). Die bisher getrennten Radio- und TV-Anstalten will Macron zusammenlegen, Kanäle streichen oder nur noch digital ausstrahlen. Frankreichs reichweitenstärkster Fernsehsender TF1 war bis zur Privatisierung 1987 öffentlich-rechtlich.

ÖVP und FPÖ haben einen Verkauf von ORF 1 oder Ö3 ausgeschlossen. Norbert Steger, ORF-Stiftungsrat der FPÖ und Regierungsverhandler, stellte aber infrage, ob es alle heutigen Programme des ORF weiter geben wird.

Der BBC streicht die britische Regierung die Abgeltung für Gebührenbefreiungen von Menschen über 75. Der britische Rundfunkriese muss deshalb mehr als 780 Millionen Euro pro Jahr einsparen – an Personal und Angeboten. ORF-General Alexander Wrabetz versprach zur jüngsten Gebührenerhöhung 2017, 300 Millionen Euro und 300 Jobs binnen fünf Jahren einzusparen.

Die SRG kann sich auch mit Billag auf Kürzungen einstellen: Die rechtskonservative Schweizer Volkspartei hat diese Woche eine weitere Senkung der Gebühren beantragt. Bisher zahlen die Schweizer 392 Euro pro Jahr, die höchste Gebühr in Europa und fast doppelt so hoch wie das ORF-Programmentgelt von rund 200 Euro*. Ab 2019 sind 317 Euro für alle Haushalte beschlossen. Die SVP will nun 261 Euro. Wenn "No Billag" am Sonntag abgelehnt wird. (Harald Fidler, 3.3.2018)

Update: Schweizer lehnen Nobillag-Initiative gegen Rundfunkgebühren ab.)

Foto: STANDARD-Grafik