Es gibt Wahlen, die kennen nur Gewinner – und es gibt Wahlen, die kennen fast nur Verlierer. Diese in Italien gehören zur letzten Kategorie. Lassen Sie sich in den nächsten Stunden und Tagen nicht beirren von den virtuosen Argumentationsketten und schwindelerregenden Wortverdrehungen der Politiker, die sich im Augenblick ihrer Niederlage um Kopf und Kragen reden werden: Sie alle – bis auf Luigi Di Maio von Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung und Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega – haben es verbockt.

Verbockt hat es, und zwar schon vor langer Zeit, Matteo Renzi. Der im Ausland wegen seiner rhetorischen Eloquenz nach wie vor gut angeschriebene Ex-Premier und Chef des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) hat das Traumresultat von 40,81 Prozent bei der Europawahl 2014 leichtfertig weggeworfen und halbiert – aus Selbstüberschätzung im Zusammenhang mit seinem dann gescheiterten Verfassungsreferendum 2016 und aus Panik, dass die Fünf-Sterne-Bewegung weiter wachsen könnte. Was sie ja nun getan hat.

Renzis panisches Machtkalkül hat zu einem der absurdesten Wahlgesetze geführt, die Italien jemals gekannt hat: einem undurchdringlichen Mischsystem aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht, das einzig und allein aus dem Grund geschrieben und beschlossen wurde, um die "Grillini" loszuwerden. Das Gegenteil ist eingetreten: Vor allem die Wählerinnen und Wähler im Süden des Landes haben sich von Renzi – aber auch von seinen Koalitionspartnern – abgewandt und der Fünf-Sterne-Bewegung zu einem regionalen Erdrutschsieg verholfen.

Ende des Berlusconi-Hypes

Verbockt hat es auch Silvio Berlusconi, der viermalige Ministerpräsident und nunmehr schon 81-jährige Gottseibeiuns der italienischen Politik. Aus Motiven, die die Demoskopen und Politologen in den nächsten Wochen erst ergründen müssen, blieb seine Partei Forza Italia doch sehr deutlich unter den Erwartungen. Die Aufregung über ein Comeback Berlusconis war letztlich nur ein von den Medien herbeigeschriebener Hype. Erinnerungen an Martin Schulz in Deutschland werden wach.

Es wird wohl nichts mehr werden aus den Plänen des Cavaliere, seinen Vertrauten Antonio Tajani, den ruppigen EU-Parlamentspräsidenten, zum Premier auf Abruf zu machen. Nämlich so lange, bis sein eigenes Ämterverbot (rechtskräftige Verurteilung wegen Steuerbetrugs) Ende 2019 ausläuft. Dann – so die Spekulationen, die er willfährig selbst befeuerte – hätte er einen Grund gefunden, die Regierung zu sprengen und 2020 Neuwahlen zu erzwingen. Nun, diese Neuwahlen könnte es sehr bald tatsächlich geben – ob dann aber Berlusconi noch ein Matchwinner sein kann, ist seit Sonntagabend sehr fraglich.

Zwei Sieger

Alles andere als verbockt hat es Matteo Salvini. In einer oft skandalösen, oft nur sehr schwer zu ertragenden Art und Weise hat er die Einwanderungsthematik voll für sich instrumentalisieren können. Als Einziger im Kreis der "Großen" hat er offen ausländerfeindlich – und oft sogar neofaschistisch anmutend – agiert, und jetzt fährt er den Erfolg ein: Als Juniorpartner gemeinsam mit Meister Berlusconi in eine Wahlallianz eingestiegen, ist er nun selber zum Chef geworden. Die Lega hat Forza Italia allen bisher bekannten Zahlen zufolge überholt. Und wenn jemand einen solchen Dämpfer für sein Ego nicht aushält, dann Berlusconi. Das Mitte-rechts-Bündnis ist eines mit einer wohl sehr kurzen Lebensspanne.

Alles andere als verbockt hat es auch Luigi Di Maio, der bis vor wenigen Wochen politisch völlig unbekannte 31-jährige Frontmann der Fünf-Sterne-Bewegung. Unter den Fittichen von Beppe Grillo – aber doch mit der nach außen hin nötigen Emanzipierung von diesem – konnte er fast nichts falsch machen in diesem Wahlkampf. Seine Fehler wird er nun begehen, da er ins kalte Wasser des politischen Geschäfts geworfen wird.

Das Wahlergebnis mag zwar den einen Teil Italiens mit Befriedigung erfüllen und den anderen mit Wut und Trauer – doch in seiner Gesamtheit hat Italien am Sonntag verloren. Eine regierungsfähige Mehrheit ist weit und breit nicht zu sehen, und die einzigen Möglichkeiten, die sich ergeben, wenn das freie Spiel der Kräfte eröffnet wird, geben Anlass zur Sorge. Weder haben die bisher bestehenden Wahlallianzen eine Mehrheit, noch wird eine Zweckehe zwischen Sozialdemokraten und Forza Italia regieren können: Es fehlen viele, viele Stimmen für eine Legitimation.

Nicht ohne die "Grillini" – und auch nicht mit ihnen

Bleibt eine Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega. Diese wäre aber ein grotesker Verrat an den Wählerinnen und Wählern, haben doch die "Grillini" stets beteuert, es allein schaffen und keine Geschäfte mit der "schmutzigen, korrupten" Konkurrenz machen zu wollen. Di Maio hat sich zwar schon im Wahlkampf ein wenig von Übervater Grillo emanzipiert, indem er einen Austritt Italiens aus EU und Euro ausschloss und sich zudem für Gespräche nach der Wahl offen zeigte; ob das aber das Gros seiner Wähler, die ja immer noch hauptsächlich wegen Grillo die Protestpartei wählen, goutieren werden, ist ganz und gar unsicher. Außerdem möge der Neapolitaner Di Maio nicht vergessen, als was Salvini die Süditaliener jahrelang beschimpfte, bevor er einen strategischen Schwenk vollzog: als dreckige, stinkende "Erdfresser" (terroni).

Wie wird es nun weitergehen? Eines ist sicher: Es kann kein Fortbestehen der jetzigen Koalition von PD und Forza Italia unter Matteo Renzi oder Paolo Gentiloni geben – die Wunschvariante eines gemäßigten Teils der Wählerinnen und Wähler.

Eine entscheidende – und extrem schwierige – Aufgabe wartet nun auf Staatspräsident Sergio Mattarella. Wen mit einer Regierungsbildung beauftragen, wenn das Resultat wohl äußerst problematisch für ein gedeihliches Bestehen Italiens in Europa sein wird? Am ehesten dürfte Mattarella ein Provisorium im Sinn haben: Ausarbeitung eines neuen, faireren Wahlgesetzes, eventuell ein Jahresbudget – und dann Neuwahlen. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine italienische Regierung nur wenige Monate im Amt bleibt. Viele kamen nur auf wenige Wochen, einige sogar nur auf wenige Tage. Italien wird es überleben. Hoffentlich. (Gianluca Wallisch, 5.3.2018)