Claudia Lösch auf der Piste: "Wenn ich im Ziel bin und es keine Medaille gibt, bin ich enttäuscht."

Foto: wüstenrot

Claudia Lösch grinst mit dem paralympischen Maskottchen Bandabi, einem asiatischen Schwarzbären, um die Wette. Bei den Spielen sollen es eine Goldmedaille und zwei weitere Medaillen werden.

Foto: ÖPC/Diener

Claudia Lösch ist quasi Marcel Hirscher. Denn die 29-Jährige ist das Gesicht des österreichischen Paralympics-Teams. Medaillenbank, Topfavoritin, Aushängeschild, Fahnenträgerin und sowieso: Lösch ist ein Superstar. Eigentlich ist sie aber viel mehr. Die Wettkämpfe in Pyeongchang sind die vierten Paralympics für die Niederösterreicherin. Die Erfahrung fährt mit, Medientermine und andere öffentliche Auftritte absolviert sie souverän, die jüngeren Teammitglieder – für viele ist es das erste Großereignis – profitieren.

Der Ehrgeiz ist bei Lösch, die in Innsbruck lebt und Politikwissenschaft studiert, jedenfalls nicht auf der Strecke geblieben: "Wenn ich im Ziel bin und es keine Medaille gibt, bin ich enttäuscht." Lösch startet in allen fünf Disziplinen. Sie ist dreifache Gesamtweltcupsiegerin, ihr Fokus lag aber vor den Spielen klar auf der Abfahrt: "Eine Herzensangelegenheit." Am ersten Tag kam dann aber schon eine Enttäuschung: Lösch schied in der Abfahrt aus.

Ein Unfall und die Perspektive

Am Anfang steht bei vielen Sportlern mit Behinderung der Unfall. Auch bei Lösch. Der Anfang soll aber auch genau dort bleiben. Jenes Ereignis, das zur körperlichen Beeinträchtigung geführt hat, ist zwar Thema, muss aber nicht zur Thematik aufgeblasen werden: "Natürlich gehört es zu unserer Geschichte. Bei Hermann Maier erinnert man sich auch an den Motorradunfall. Als Einleitung ist es okay, sobald die Tragik aber überhandnimmt, wird es mühsam."

Viel wichtiger seien die Aufmerksamkeit und das Interesse an den sportlichen Leistungen. Lösch war im Alter von sechs Jahren in einen Autounfall verwickelt. Seither ist sie querschnittsgelähmt und sitzt im Rollstuhl. Insgesamt hält sie bei sieben Medaillen bei Paralympics, holte zig WM-Medaillen und wurde sechs Mal Behindertensportlerin des Jahres.

Putins Kasperl

"Die Frau Lösch hat etwas zu sagen", sagt man sich in Kreisen, in den man so etwas eben sagt. Lösch geizte in der Vergangenheit weder mit Engagement für den allgemeinen Behindertensport noch sparte sie mit Kritik. Als der ORF 2010 ankündigte, das Behindertensportmagazin Ohne Grenzen einstellen zu wollen, protestierte Lösch mittels eines offenen Briefes. Zuvor hatte sie gemeinsam mit dem paralympischen Schwimmer Andreas Onea noch moderiert, eingespart wurde just das Moderatorenteam: "Seis drum. Viel wichtiger ist, dass es das Format noch immer gibt."

Überhaupt beschränkt sich Löschs Tunnelblick auf die Piste. Dort zählt außer zu gewinnen nichts. Abseits sind die Augen offen. Mit Schrecken erinnert sie sich an Sotschi 2014: "Am Tag der Eröffnung annektierte Russland die Krim. Der olympische Gedanke stand im Schatten." Damals wollte sie sich "nicht von Putin zum Kasperl machen lassen." Lösch lächelt: "Das hat es ziemlich getroffen."

Mit Freude denkt sie dafür an Vancouver. Dort habe alles gepasst: "Ein Traum." Aber ausgerechnet in der Abfahrt, der Disziplin mit "dem größten Coolness-Faktor", klappte es 2010 nicht: Nach einem Sturz kurz vor dem Ziel schlitterte Lösch über die Ziellinie: nur Bronze. Daheim hängen von dort dennoch zwei Goldene, eine Silber- und eine Bronzemedaille.

Österreich habe in den vergangenen 20 Jahren Fortschritte gemacht. Zumindest im Umgang mit Menschen mit Behinderung. Die Akzeptanz in der Öffentlichkeit sei stetig größer geworden. Als Volksschulkind wurde Lösch noch von ihrer Lehrerin verächtlich abgelehnt, heute "sind schon drei oder vier Kinder mit Behinderung in der Schule". Ein kleines Zeichen, aber ein Zeichen.

Zielgruppenprobleme

Zu einer Randgruppe in der Randgruppe zählt Lösch aufgrund ihres Geschlechts. Frauen sind im Behinderten-Spitzensport deutlich seltener, in Pyeongchang sind neben ihr noch die Alpin-Athletin Heike Eder und die Langläuferin Carina Edlinger dabei. In Sotschi war Lösch gar die einzige Frau: "Das liegt vor allem daran, dass das klassische Zielpublikum Burschen zwischen zwölf und 16 sind, die sich mit einem Moped um den Baum wickeln. Mädchen machen das viel weniger." Außerdem seien Eltern bei behinderten Mädchen viel fürsorglicher, das raue Sportumfeld schrecke viele ab.

Auch für die dreifache Gesamtweltcupsiegerin war der Ton mitunter rau. Sexistische Bemerkungen gab es im Sportumfeld immer wieder, Lösch habe sich"eine Elefantenhaut zugelegt". Der volle Kaminsims ist der Lohn. Die gläserne Decke habe sie nicht unmittelbar gespürt. Aber sie weiß auch: "Ich werde sicher nie so schnell Monoski fahren wie der Roman Rabl. Trotzdem orientiere ich mich daran. Das Training mit den Jungs hilft."

Für die Zukunft im Behindertensport wünscht sie sich vor allem "mehr Nachwuchs. Wichtig wäre außerdem, dass es mehr und besser ausgebildete Trainer gibt, die auch gerecht entlohnt werden." Für die ganz nahe Zukunft sind eine goldene und zwei weitere Medaillen das Ziel. Der Dämpfer in der Abfahrt war groß, es folgen aber noch weitere Chancen.

Gehör könnte Lösch schon bald international finden. Die 29-Jährige wurde zur Wahl in den Athletenrat des Internationalen Paralympischen Komitees nominiert und könnte als erste österreichische Athletin überhaupt gewählt werden. Abgestimmt wird während der Spiele. "Ein Betriebsrat", sagt Lösch. Nach ihrer Karriere will sie dem Behindertensport erhalten bleiben. Die Spiele in Pyeongchang sind jedenfalls die letzten. Auf dem Kaminsims wäre eh kein Platz mehr. (Andreas Hagenauer, 9.3.2018)