Wien – Einfach nicht mitmachen. Der Hysterie entsagen. Durchatmen, den Blick in die Ferne streifen lassen. Die Katze streicheln, den Hund ausleeren gehen. Irgendwas Unaufgeregtes. Es ist oft nicht leicht, sich dem übersteuerten Dauerzustand unserer Zivilisation zu entziehen, doch genau das ist ja gleichzeitig das schlagendste Argument dafür. Früher einmal nannte man das Punk, aber dessen Verweigerung war ja gegen etwas, wollte Veränderung, war laut, wild und garstig.

Wenn das US-Trio Yo La Tengo dieser Tage auf die Straße geht, dann nur wegen eines Fotoshootings. Dass der Titel ihres neuen Album das Gegenteil naheliegt, nennt man Subversion. Schlau!
Foto: Matador Records / Godlis

Aus Altersgründen und Begleiterscheinungen wie Bluthochdruck, Bierbauch und Nachwuchs wurde Punk im Laufe der Jahre von den einst jungen Wilden zur Haltung umgedeutet. Das ist gemütlicher, als sich mit 40 noch bierflaschenwerfend ins Moshpit zu verfügen, von der auf diesem Weg verloren gehenden Würde ganz zu schweigen.

Die Glocken der Auskenner

Der Hysterie entsagen auch Yo La Tengo. Die Band aus Hoboken in New Jersey veröffentlicht am heutigen Freitag ihr Album "There’s A Riot Going On". Bei dem Titel läuten bei Auskennern die Glocken: "There’s A Riot Going On" heißt das fünfte Album von Sly & The Family Stone. Die Platte ist ein Funkklassiker aus 1971, der punktgenau am Zeitgeist saß: gesellschaftliche Umbrüche, Drogenkultur, Vietnamkrieg – das volle Programm.

Doch anstatt der vom Titel geweckten Erwartung zu entsprechen, geben sich Yo La Tengo doppelt subversiv, schließlich gilt die Band ja als sophisticated. Statt wild gegen den Donald und den Wahnsinn der Welt anzurücken, dreht ihr die Gruppe scheinbar den Rücken zu.

Bloß keine Wellen

Vielfach instrumental gehalten frönt sie einnehmender Ambient Music, klimpert in Etüden wie "Above The Sound" lapidar am Klavier rum, bevor sich Ira Kaplan doch dazu entschließt, ein wenig Text aufzusagen. Ein Lied wie "Let’s Do It Wrong" wirkt wie ein Bekenntnis: Sixties-Lounge, sanft zirpende Klänge, bloß keine Wellen.

Matador Records

Eine Affinität zu den Sixties haben Yo La Tengo immer schon gehabt. Das schlug sich in folkigen Coverversionen oder Beach-Boys-Würdigungen nieder – hin und wieder von Krach zerschnitten, der in Erinnerung rief, dass der Kalender doch schon länger die Ära des Postpunk anzeigt. Über 30 Jahre gibt es Yo La Tengo schon. Die Band besteht aus dem Ehepaar Georgia Hubley und Ira Kaplan, den Bass spielt einen Kopf höher James McNew.

Die Accounts abdrehen

Ihr "There’s A Riot Going On" erinnert an die 1990er, als Ambient Music retro-futuristisch eine Renaissance erlebte. Plötzlich blubberten überall Lava-Lampen, die T-Shirts wurden eng, die Hosen unten weit. Dieses Album verweist in diese Zeit. Ähnliches hat das Trio schon damals gemacht, nur nicht so konsequent. Man setzt auf Ruhe, ist tranquillo. Da ist es nicht weit zu Tranquilizern, pharmazeutischen Beruhigungsmitteln und Angstlösern.

Kopf frei machen

Rein musikalisch verabreicht ist das keine schlechte Strategie, um dieser Tage über die Runden zu kommen. Zur Sicherheit kann man zusätzlich die Social-Media-Accounts abdrehen, das ist nie falsch. Stattdessen rausgehen, den Kopf frei machen.

"There’s A Riot Going On" bietet sich dafür als Soundtrack an. Wobei: Muss man wirklich immer und überall Musik hören? Eigentlich nicht. (Karl Fluch, 16.3.2018)