Erwin Steinhauer ließt "Die Krähen von Pearblossom".

Foto: Regine Hendrich

Ganz kann der Schauspieler nicht aus seiner Haut: "Ich sehe Krähen, den alten Uhu, die Schlange und versuche, sie leicht zu charakterisieren."

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Für seine Vorlesekünste bekommt er Applaus von der 2C in der Brüßlgasse.

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Es waren einmal zwei Krähen, die hatten ihr Nest in einer Ulme in Pearblossom", eröffnet der Schauspieler Erwin Steinhauer die dritte Stunde der 2C. "Kinder sind das Publikum von morgen. Man kann ihnen einfach Lust aufs Lesen machen und auf ihre eigene Fantasie", sagt er. Beim Vorlesen bleibt er seinem Job treu: "Ich sehe Krähen, den alten Uhu, die Schlange und versuche, sie leicht zu charakterisieren – damit sich die Kinder etwas vorstellen können."

Alltag ist das nicht in der Volksschule in der Wiener Brüßlgasse. Dass Prominente den Kindern vorlesen, geschah am Donnerstag im Zuge des ersten Österreichischen Vorlesetags. Auf Sprache und auf Lesen wird in der Schule in Ottakring besonderer Wert gelegt. "Wir sind eine sehr multilinguale Schule", sagt Elisabeth Kutzer, die Direktorin der Volksschule Brüßlgasse. Rund 30 Sprachen werden von den Kindern hier gesprochen. "Das Erlernen der deutschen Sprache fällt leichter, wenn die Erstsprache gefestigt ist", sagt die Direktorin. Daher wird mehrsprachig alphabetisiert.

Das größte Problem der Wiener Volksschüler seien Defizite in der Lesetechnik und der Sinnentnahme, sagt Schulinspektorin Elisabeth Fuchs, im Stadtschulrat für Lesen zuständig: "Die Sprachentwicklung ist mit dem Lesenlernen untrennbar verbunden." Um gut Deutsch zu lernen, müssten die Kleinen auch in ihrer Muttersprache lesen und schreiben können.

Integratives Sprachenlernen

In Wien-Ottakring funktioniert das so: In einem Sitzkreis benennen die Kinder Bilder in Deutsch und in der jeweiligen Erstsprache. Im Lehrerteam sind auch zwei Muttersprachenlehrer für Türkisch und Bosnisch, Serbisch, Kroatisch. "Die Kinder sind motiviert, wenn sie sagen dürfen, wie Dinge in ihrer Sprache heißen", sagt Kutzer. Erst wird mit der ganzen Klasse alphabetisiert, dann in Kleingruppen gearbeitet. Der Muttersprachenlehrer liest etwa Texte in der Erstsprache. "Kinder mit großem Sprachdefizit sind trotzdem in den Klassenverband integriert."

Dass die Regierung ab kommendem Schuljahr Schüler, die nicht ausreichend gut Deutsch sprechen, in eigenen Klassen unterbringen will, stößt in Wien auf Widerstand: "Diese Deutschklassen sind ein Paradebeispiel dafür, wie es die Politik schafft, Probleme zu schaffen", so Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ). "Es ist eine organisatorische Zumutung für Direktoren und Lehrer, die auf dem Rücken der Kinder ausgetragen wird." Auch würden dadurch Klassen "völlig auseinandergerissen werden". Dass es in Kombination mit der "Sparstiftpolitik" passiere, sei laut Czernohorszky "zynisch". So gibt es ab 2019 nur die Mittel für die neuen Deutschförderklassen. Statt mit rund 850 Förderlehrern wird man österreichweit künftig mit 440 auskommen müssen. In Wien würden so 300 unterstützende Lehrer wegfallen.

Potenzial mit Unterstützung

"Die Kinder haben so viel Potenzial, aber oft können die Eltern zu Hause ihnen leider nicht helfen", sagt Kutzer. Hier müsse die Schule einspringen und sie fördern. Geholfen wird den Schülern in der Brüßlgasse etwa auch von ehrenamtlichen Lesepaten. Ein bis zwei Stunden pro Woche kommen sie in ihre Klassen und lesen mit einzelnen Kindern, vor allem mit den Schülern, die noch Schwierigkeiten haben. "Durch das Vorlesen und die Beziehung zum Vorlesenden wird der Wortschatz besser erweitert", sagt Fuchs.

Bei der Lesestunde von Steinhauer wird gekichert – die Schlange hat Bauchweh, und der Schauspieler windet sich. "Dass Kinder mit so vielen verschiedenen Muttersprachen so konzentriert zuhören, zeigt, dass der Weg, den die Schule geht, der richtige ist", sagt er und wünscht: "Die Politiker, die jetzt Integrationsmaßnahmen kürzen, sollen in Schulen gehen und schauen, was passiert, wenn man solche Programme kürzt und die notwendigen Mittel nicht mehr zur Verfügung stellt."

Gelesen wurde am Donnerstag nicht nur in Volksschulen, sondern etwa auch in Büchereien, Lokalen und Seniorenheimen, um viele Gruppen zu erreichen. (Oona Kroisleitner, 15.3.2018)