Argentinien muss nach dem 1:6-Debakel in Spanien die eigenen Wunden lecken.

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Madrid/Berlin – Lionel Messi hatte genug gesehen. Zwölf Minuten vor Abpfiff der historischen 1:6-Pleite gegen Spanien verließ Argentiniens Superstar mit finsterer Miene die Loge im Wanda Metropolitano von Madrid. Von dort aus hatte der angeschlagene Messi (Oberschenkelprobleme) das Debakel seiner Teamkollegen verfolgt, mit jedem Gegentreffer war er etwas tiefer in seinen Sitz gesunken. Der WM-Mitfavorit wurde von einem anderen WM-Mitfavoriten demontiert und bekam auf brutale Weise vor Augen geführt: Ohne Messi geht es nicht.

"Spanien hat uns heute geohrfeigt", sagte Argentiniens Nationaltrainer Jorge Sampaoli völlig konsterniert. Die höchste Niederlage in der Verbandsgeschichte – zuvor hatte die Albiceleste auch bei der WM 1958 gegen die Tschechoslowakei und 2009 unter Trainer Diego Maradona in Bolivien 1:6 verloren – nahm der Coach auf seine Kappe.

Sampaoli übernimmt Verantwortung

"Die Verantwortung für das, was wir heute abgeliefert haben, liegt bei mir. Ihr braucht nicht auf die Spieler zu zeigen", sagte Sampaoli, der nach dem sechsten Gegentreffer auf seine berüchtigten Rumpelstilzchen-Tänze verzichtete und sich stattdessen frustriert und ratlos auf die Bank setzte.

"Die Tore haben uns tief ins Mark getroffen", sagte Sampaoli, "und das müssen wir verbessern, damit wir bei der WM keinen Selbstmord begehen." 79 Tage vor dem Turnierstart in Russland deckten die Spanier schonungslos die argentinischen Schwächen auf. Dass neben Messi auch Angel di Maria oder Sergio Aguero fehlten, diente nicht als Ausrede, auch wenn Sampaoli relativierte: "Der Unterschied war nicht so groß, wie das Ergebnis sagt."

Lopetegui bringt Spanien auf Kurs

Seinen Spaß hatte vor allem Isco. Der Mittelfeldmann von Real Madrid traf dreimal (27., 52., 74.) für die effizienten Spanier. Die übrigen Tore erzielten Diego Costa (12.), Thiago Alcantara (55.) und Iago Aspas (73.). Nicolas Otamendi (39.) erzielte den zwischenzeitlichen Anschlusstreffer.

Die in Barcelona ansässige Tageszeitung "Sport" titelte am Tag darauf: "Messi weiß schon, wer der Favorit ist." Unter dem nach dem EM-Achtelfinal-Aus 2016 als Teamchef installierten Julen Lopetegui hat sich die Auswahl wieder zu einem gefürchteten Gegner entwickelt. Nach dem 1:1 gegen Weltmeister Deutschland vier Tage zuvor bestanden die Spanier auch die zweite Bewährungsprobe mit Bravour.

Der 51-jährige ehemalige Torhüter durfte zufrieden bilanzieren. "Wir haben eine Mannschaft mit großer Geschichte geschlagen, die es bis ins Finale der letzten WM geschafft hat. Sicher haben bei ihnen einige wichtige Spieler gefehlt, aber wir sind zufrieden", sagte Lopetegui.

Isco fehlt Vertrauen bei Real

Matchwinner Isco war auf dem gesamten Platz zu finden. Der 25-Jährige hat sich im Nationalteam einen Fixplatz erarbeitet – im Unterschied zu seiner Stellung bei Real. Isco nutzte die Gunst der Stunde, um diesbezüglich eine Botschaft an Club-Trainer Zinedine Zidane zu senden.

"Bei Real habe ich nicht das Vertrauen, das ein Fußballer braucht. Vielleicht bin ich das Problem und es ist deshalb, weil es dort einfach zu viele gute Fußballer gibt", sagte er. Der Andalusier ist bei Real in dieser Saison in der Liga nur viermal über die volle Spielzeit zum Einsatz gekommen.

Argentinien hofft auf Messi...

In Argentinien schrieben die Zeitungen von einer "Katastrophe" (Clarin). Symbolisch war der fünfte Gegentreffer durch Iago Aspas (74.), der nicht nur für die Zeitung La Nacion ein "Komplettversagen" war. Ein Abstoß von Spaniens Torhüter David de Gea durch die Mitte landete geradewegs bei Aspas, der ohne Gegenspieler alleine auf Argentiniens Torhüter Wilfredo Caballero zustürmen und abschließen konnte.

Von den letzten zehn Begegnungen, in denen Messi fehlte, gewann Argentinien nur vier. "Messi ist der einzige Grund, warum Argentinien den Hoffnungsschimmer hat, die Weltmeisterschaft zu gewinnen", erklärte Ex-Teamspieler Jorge Valdano im spanischen Radio.

...und Aberglauben

In Argentinien klammert man sich schon an übernatürliche Hilfe. Um den angeblichen WM-Fluch zu brechen, lösten einige Spieler des Weltmeisterteams von 1986 ein 32 Jahre altes Versprechen ein.

Angeführt von Jose Luis Brown, der beim 3:2 Finalsieg gegen Deutschland das 1:0 erzielt hatte, besuchte die Gruppe im Marien-Wallfahrtsort Tilcara wie im Januar 1986 die Figur der Heiligen Jungfrau von Copacabana. Damals hatte Nationaltrainer Bilardo einen Teil des WM-Kaders in einem Trainingslager auf die dünne Luft Mexikos vorbereitet, und die Spieler hatten in der nahe gelegenen Kapelle ein bis dato nicht eingehaltenes Gelübde abgelegt, bei einem WM-Triumph zurückzukehren. (sid, APA, red, 28.3.2018)