Achtung, die scheinbare Kontemplation und Ruhe täuschen. Gleich kann auf Keiji Hainos gerade noch schön gezupfter Gitarre die Hölle losbrechen.


Foto: Jazzfestival Saalfelden

Wien – So wie jede andere kreative Äußerung auch beruht die Kunst der frei improvisierten Musik auf einer Voraussetzung: Sowohl die Ausübenden selbst als auch das geneigte Publikum müssen die ganze Sache ernst nehmen. Humorvoll geht dabei schon okay. Lustig spielt es aber nicht! Kunst ist schwer – und schwer ist der Beruf. Wer das zu leicht nimmt, hat kein Gewicht.

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In den letzten Jahrzehnten hat man in diesem Zusammenhang schon so gut wie alles gesehen. Angefangen hat das mit lustigen Vögeln wie dem an und für sich an der Gitarre Kunst verübenden US-Altfreak Eugene Chadbourne, der zwischendurch schon einmal auf einem elektrisch verstärkten Laubrechen oder mit einem unter Wechselstrom gesetzten Wellensittichkäfig auf dem Kopf improvisierte. Später, davor und dazwischen begeisterten diverse Künstler mit der Behandlung der Gitarre durch Zähne, Geigenbogen, Rohrstäbe, Hammer und Nägel, Vibratoren, Flaschenhälse, Ketten und Feuerzeugbenzin. Das alles verweist entschieden in jene Zeit, in der sich die sogenannte Erwachsenenwelt darüber mokierte, dass die Langhaarigen lieber etwas arbeiten gehen sollten.

Der britische Gitarrist Fred Frith schließlich tut seinen Wunsch nach einer fruchtbaren und kinderreichen Ehe mit seinem Instrument schließlich auch schon wieder ein paar Jahrzehnte lang mit dem zeremoniellen Werfen von Reiskörnern auf die sechs Saiten kund. Das führt mitunter zu Protesten in feinsinnigen und aktuell noch leichter als sonst beleidigt agierenden Hörerkreisen. Immerhin wird hier ein gerade für ärmere Weltgegenden relevantes Grundnahrungsmittel sinnlos verschwendet. Gott sei Dank sind Beschwerde und Beleidigtsein noch nie eine Kunst gewesen. Zumindest bis heute.

Boiler Room

Keiji Haino nun ist ein japanischer Künstler, der von seiner in einer Vorstufe der religiösen Heiligenverehrung auf den Eintritt ins Nirwana harrenden Jüngerschaft deshalb so ernst genommen wird, weil er sich erstens selbst sehr ernst nimmt. Zweitens hält er den Schalk im Nacken mit einer dunklen Brille im Gesicht und zusätzlich hinter silberner Haartracht versteckt.

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Der 65-jährige Multiinstrumentalist mit dem Schwerpunkt elektrische Gitarre wird diesen Freitag im Wiener Porgy & Bess die Weltpremiere seines Trios mit dem deutschen Free-Jazz-Altvater und Saxofonwütbürger Peter Brötzmann und der US-Pedal-Steel-Gitarristin Heather Leigh geben. Die beiden Letztgenannten befinden sich gerade in einem Wiener Kellerstudio, um den Nachfolger ihres Duoalbums Sex Tape aus dem Vorjahr einzuspielen. Möglicherweise kommt der routinierten Kombination aus flächigen Slideklängen und virilem Gebrüll an diversen Blasinstrumenten ein wenig japanischer Freistilwahnsinn gerade recht.

Schäferidylle und harscher Noise

Beeinflusst gibt sich Keiji Haino unter anderem von den Schriften Antonin Artauds und seines Theaters der Grausamkeit. Haino kommt ursprünglich von der Bühne, erlag allerdings früh dem rockistischen Superman-Pathos eines Jim Morrison von The Doors ebenso wie dem frei rockenden und streng nach Plan Drogen werfenden Jimi Hendrix, aber auch dem radikaleren Brachialgitarristen Sonny Sharrock. Nicht zu vergessen seien steinalte Countryblues-Knarzer wie Blind Lemon Jefferson sowie diverse schamanistische Praktiken.

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Aus dieser Mixtur aus popkultureller Hybris und parareligiöser Mystik entwickelte Keiji Haino von den 1970er-Jahren herauf eine eigene, vor allem aber eigenwillige Form von Selbstverwirklichung, die vor allem in Kollegenkreisen hoch- und manchmal auch überschätzt wird. An Instrumenten wie kreischender Gitarre, fiepsenden elektronischen Kasteln, Flöten, Perkussion und mit einem Gesangsstil ausgerüstet, der mit einer dünnen Kopfstimme auch einmal nach den Geräuschen klingen kann, die im Finale der Alien-Filme von den Hauptdarstellern gemacht werden, ist alles möglich. Psychedelischer Freistilrock, reiner harscher Noise. Schäferidylle, hörbar gemachte Stille, Meditation. Freak-out. Ein Rundgang durch Youtube empfiehlt sich. (Christian Schachinger, 29.3.2018)