Vor wenigen Tagen wurde im STANDARD unter dem Titel "Soziale Ungleichheit: Alles nur ein Hype?" über eine Studie zur Einkommensungleichheit berichtet, erstellt von dem industrienahen Forschungsinstitut Eco Austria sowie dessen deutschem Pendant IW Köln. Die Conclusio dieser Studie: "Trotz keiner wesentlichen Veränderung der Einkommensverteilung (in Österreich und Deutschland, Anm.) steigt der Anteil der Medienberichterstattung zu Ungleichheit und verwandten Themen seit Jahren." Und weiter: "(...) eine intensivere Berichterstattung zum Thema Ungleichheit kann die Sorgen der Bürger zumindest kurzfristig erhöhen." Also alles nur ein Hype der Medien?

Eine mögliche Antwort auf diese Frage wäre eine Gegenfrage: "Die Berichterstattung über den Klimawandel hat in den letzten Jahren stärker zugenommen als die tatsächliche Durchschnittstemperatur. Also alles nur ein Hype?" Wohl eher nicht. Doch lassen wir die Fakten sprechen.

OECD, IMF und Weltbank berichten seit zumindest einem Jahrzehnt intensiv zu Verteilungsfragen. Das wesentlichste Ergebnis dabei: Die Einkommensungleichheit hat in nahezu allen Industrieländern seit Mitte der 1980er-Jahre stark zugenommen – ein inzwischen auch in der Wissenschaft unumstrittener Befund. Die Studie von Eco Austria und IW fokussiert jedoch ausschließlich auf die Periode 2007 bis 2014, in der die Einkommensverteilung tatsächlich relativ stabil geblieben ist – allerdings auf einem langfristigen Ungleichheitshöchststand.

Hoher Gini-Koeffizient

Laut OECD stieg der Gini-Koeffizient (der bei völliger Gleichverteilung den Wert 0 und bei maximaler Ungleichheit den Wert 100 annimmt) für das verfügbare Einkommen (nach Steuern und inklusive Transfers) in Österreich von 22,5 Mitte der 1980er-Jahre auf 28,4 im Jahre 2007 und ging bis 2015 geringfügig auf 27,6 zurück. Die Ungleichheit erhöhte sich somit – auch unter Berücksichtigung von Steuern und Transfers – in nur 20 Jahren um mehr als ein Viertel. Zur richtigen Interpretation dieser Entwicklung ist allerdings folgende Ergänzung wichtig: Während Arbeitseinkommen in der Lohnsteuerstatistik relativ gut erfasst werden, sind Kapitaleinkommen nur unvollständig erfasst. Die für diese Zwecke besten Daten werden alle drei Jahre von der Europäischen Zentralbank zur Verfügung gestellt. Sie zeigen, dass die "unteren" 95 Prozent der österreichischen Haushalte ein durchschnittliches Primäreinkommen von 37.600 Euro aufweisen, während das reichste Prozent mit mehr als 316.000 Euro über das 8,5-Fache davon verfügt.

Der Grund für diese enorme Differenz liegt darin, dass das Gesamteinkommen der unteren 95 Prozent der Haushalte zu 97 Prozent aus Arbeitseinkommen und nur zu drei Prozent aus Kapitaleinkommen besteht, wogegen das oberste Prozent insgesamt ein Drittel des Gesamteinkommens aus Kapitaleinkommen erzielt. Da Kapitaleinkommen aber immer den Besitz von Vermögen (Sachvermögen, Immobilien, Finanzkapital und Unternehmen) voraussetzt, ist die letztlich entscheidende Frage jene der Verteilung des Vermögensbestandes.

Vermögen ist immer wesentlich ungleicher verteilt als Arbeit und Arbeitseinkommen. In Österreich besitzen laut OeNB zehn Prozent der Haushalte 60 Prozent des Gesamtvermögens. Aber selbst diese Zahl ist eine Unterschätzung der tatsächlichen Vermögenskonzentration, da die wirklich Vermögenden nicht miterfasst sind. Das höchste in dieser Statistik erfasste Haushaltsvermögen beträgt 17 Millionen Euro. Weder Dietrich Mateschitz, dessen Vermögen sich laut Forbes zwischen 2017 und 2018 von zwölf auf 23 Milliarden (!) Dollar erhöht hat, noch jene 100 vermögendsten Familien, die jährlich in der Zeitschrift Trend aufgelistet werden, sind in den Daten der OeNB erfasst. Über die wirkliche Elite haben wir keine seriösen Daten, sondern nur Schätzungen.

Vermögenskonzentration

Wesentlich hinsichtlich der gesellschaftlichen Konsequenzen dieser enormen Vermögenskonzentration ist die Frage, welche Macht diese Konzentration auf die Politik ausübt. Zweifelsohne verleiht Vermögen Macht und Einfluss in vielfältiger Form: im Haushalt wie in der Gemeinde, auf lokaler wie auf nationaler Ebene und noch mehr auf der internationalen Ebene. Aber nirgendwo ist die Analogie zum Eisberg mehr angebracht: Nur ein kleiner Ausschnitt von Macht ist auch öffentlich sichtbar. So bleibt eine zentrale Frage hinsichtlich der weiteren Entwicklung unserer Gesellschaft jene, inwiefern es mächtigen Verbänden in der Wirtschafts- und Finanzwelt gelingt, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung durch Steueroasen u. a. aufrechtzuerhalten, oder ob internationale Institutionen (EU, OECD, G20) entsprechende Re-Regulierungen durchsetzen können.

Was sind die aktuell größten Herausforderungen unserer Gesellschaft? Der Klimawandel sowie die Verteilung von Vermögen und Einkommen. Beide Bereiche bieten enorme Risiken für eine nachhaltige Zukunft unserer Gesellschaft und Demokratie. Deshalb sollten wir darüber nicht weniger, sondern mehr diskutieren. Der kürzlich verstorbene Astrophysiker Stephen Hawking schrieb vor achtzehn Monaten dazu: "We can't go on ignoring inequality, because we have the means to destroy our world but not to escape it."