David Lindo, "#Urban Birding". Aus dem Englischen von Anna-Christin Kramer und Jenny Merling. € 20,50 / 367 Seiten. Kosmos, Stuttgart 2018

Kosmos Verlag

Einen britischen Birdwatcher stellt man sich zweifellos anders vor. David Lindo ist zwar fraglos ein Vogelnerd, aber sieht aber doch ganz anders aus, also kein älterer, weißer Mann aus der Mittelklasse in etwas seltsamer Kleidung und mit schrulligem Verhalten, sondern ziemlich genau das Gegenteil davon: Lindo stammt aus einer jamaikanisch-britischen Einwandererfamilie und eher bescheidenen Verhältnissen, ist locker-lässig gekleidet und ein begeisternder Kommunikator von ansteckender Fröhlichkeit.

Früher einmal arbeitete der 54-jährige Londoner, der sich schon seit früher Kindheit für Vögel interessiert, als PR-Assistent eines Regisseurs von Werbe- und Musik-Clips. Heute lebt er davon, "Urban Birder" zu sein – eine Selbstbezeichnung, die ihm vor zwölf Jahren eher spontan vor einer Fernsehsendung einfiel und die ihm als Marke hilft, sein Hobby zum Beruf zu machen.

Vogel und Vogelnerd im Doppelporträt: David Lindo, der eher nicht so aussieht wie der typische Birder, und ein junger Uhu, der auf den auch nicht gerade üblichen Uhu-Namen Cecil Fowler getauft wurde.
Foto: Darren Crain

Ab diesem Zeitpunkt schrieb Lindo eine regelmäßige Kolumne für die Zeitschrift Bird Watcher und entwickelte nach und nach seine eigene Philosophie des Vogelbeobachtens: Urban Birding eben. Das ist auch der Titel von Lindos Buch, das dieser Tage auf Deutsch erschien und das sein Autor am Wochenende im Rahmen der Pannonian Bird-Experience in Illmitz am Neusiedler See vorstellte, der österreichischen Fachmesse für Vogelbeobachter.

"Man muss kein Experte sein"

Der urbane Vogelkundler wendet sich damit aber nicht nur an die Fachleute, sondern nicht zuletzt auch an diejenigen, die erst noch für das Birding begeistert werden wollen. "Man muss wirklich kein Experte sein, um Vögel zu beobachten", sagt Lindo, der seinen Zugang bewusst niederschwellig hält: "Es ist auch nicht so wichtig, sie immer gleich richtig bestimmen zu können. Es geht darum, einfach Spaß zu haben."

Viele Stadtbewohner würden glauben, dass echte Natur nur irgendwo im Unberührten da draußen existiert oder in Natursendungen im Fernsehen. "Wenn ich Leute zum ersten Mal auf eine Führung in der Stadt mitnehme, merke ich, wie die ganz überrascht sind, was es alles in der Natur zu beobachten gibt." Dafür würde es schon ausreichen, sich in der Früh oder in der Mittagspause einfach für zehn Minuten in einen Park zu setzen und zu schauen, was dort passiert.

"50 Shades of Grey" in Wien

Für sein Buch hat der Urban Birder sehr viel mehr Aufwand betrieben: Er bereiste mehr als 100 Städte sowohl in Großbritannien wie auch rund um den Globus. Für die deutsche Ausgabe kamen noch ein paar Städte in Deutschland, Österreich und der Schweiz dazu. Das lesenswerte Wien-Kapitel, das ihn unter anderen in den Prater, in die Lobau oder an den Wienerberg-Teich führte, steht übrigens unter dem Titel 50 Shades of Grey, was an Wien einzigartiger Rabenvogel-Population liegt, die besonders viele Kreuzungen von Nebel- und Rabenkrähen aufweist.

Die einzelnen Kapitel in #Urban Birding sind informativ, aber auch mit viel Ironie geschrieben, was angesichts der ökologischen Lage des Planeten und vieler seiner Millionenstädte auf den ersten Blick verwundert. Doch Lindo hält es im Gespräch für wenig zweckmäßig, immer nur die negativen Geschichten über das Vogelsterben zu erzählen. "Das frustriert die Leute und schreckt sie oft ab."

Begeisterung für Vögel wecken

Er will die Menschen zuerst einmal mit guten Geschichten für die Vogelwelt begeistern. "Wenn das erst einmal gelungen ist, dann sorgen sich die Leute ganz automatisch mehr um den Zustand der Natur und begreifen, dass da viel ziemlich falsch läuft." Dazu sind ihm aber noch viele andere Mittel und Kanäle recht: Er bespielt aktiv verschiedene soziale Medien, macht Exkursionen (bei denen laut seinen Angaben mehr Frauen als Männer mitmachen) oder dreht Filme wie diesen hier:.

David Lindo zeigt am Beispiel von Málaga, wie man Vögel in einer Stadt am besten beobachtet.
Leica Sport Optics Birding

Parallel zu den britischen Parlamentswahlen 2015 hat er sogar eine Wahl zum beliebtesten britischen Vogel veranstaltet, an der immerhin rund 250.000 Briten – darunter viele Schüler – teilnahmen. Am Ende wurde es, wie von Lindo befürchtet, das Rotkehlchen. Ihm wäre die Amsel sehr viel lieber gewesen. Oder eine Eulenart.

Eine Art von Lebensphilosophie

Lindo kommt aus der Wirtschaft, nicht aus der Wissenschaft, seine Ausbildung erhielt er in Public Relations und nicht an der Uni in Zoologie oder Ökologie. Dennoch würden ihn die meisten Ornithologen unterstützen: "Vor allem die jüngeren erzählen mir von ihren Untersuchungen, und ich kommuniziere das dann weiter. Wenn es meine Mutter versteht, die über 80 Jahre alt ist, dann habe ich es richtig gemacht."

Die wenigen zentralen Botschaften des Urban Birding, das auch eine Art Lebensphilosophie ist, sind auch nicht schwer zu verstehen. Lektion eins: nach oben schauen. Lektion zwei: beim Beobachten stets auf das Unerwartete gefasst sein. Lektion drei hatten wir schon: Spaß haben.

Birden als Form von Zen-Buddhismus

Es selbst sei jedenfalls am glücklichsten und zufriedensten, wenn er Vögel beobachten kann. Das habe ihn freilich immer wieder auch in unangenehme Situationen gebracht – etwa bei dem einen oder anderen Rendezvous unter freiem Himmel, als die Aufmerksamkeit dann doch nicht nur dem Gegenüber galt. Und auch beim entspannten Interview schweift sein Blick immer wieder nach oben ab, um die Rauchschwalben ringsum zu beobachten.

"Urban Birding ist gut für die geistige Gesundheit", ist Lindo überzeugt: "Man ist einfach den ganzen Tag lang fröhlicher, wenn man sich in der Früh etwas Zeit dafür nimmt, in einem Park nach Vögeln Ausschau zu halten. Das versetzt einen in eine Art von Zen-Zustand und entspannt ganz wunderbar." (Klaus Taschwer, 29.4.2018)