Die Arbeit derer, die gemeinhin nicht im Rampenlicht stehen, sichtbar zu machen, beabsichtigte Johanna Kandl mit diesem Porträt zweier Bühnenarbeiter: "Arbeitszeit" (1994).

Wien Museum

Zwischen Abstraktion und Hendl: Dieses unbetitelte Gemälde Max Böhmes aus dem Jahr 1999 orientiert sich an einem Arrangement aus Geflügelteilen.

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Zu den schönen Ritualen im Wiener Kunstbetrieb gehört die Reihe der "Jahrzehntsausstellungen" samt ihren zentnerschweren Katalogen im Musa. Gestartet vor acht Jahren mit einer Schau zu den 1950ern, erwecken sie Dezennien der lokalen Kunstgeschichte zu neuem Leben, und zwar anhand jener Werke, die seitens der Stadt angekauft wurden.

Der medial zersplitterte Körper als Baumaterial: "Patrizia / Gesichtslichtarchitektur, 1994" von Johannes Deutsch.
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Aktuell sind die 1990er-Jahre dran, und neu ist dabei nicht nur, dass das Musa nun Teil des Wien-Museums ist. Die 90er kommen obendrein als Dreiteiler daher. Immerhin gelte für dieses Jahrzehnt besonders, dass der kunstgeschichtliche Kanon "noch nicht verfestigt" sei, so Kurator Berthold Ecker. Das schreit also nach einer breiteren historischen Darstellung.

"Aufzüge" – wie Akte in der Dramenkunst – nannten Ecker und seine Kollegin Brigitte Borchhardt-Birbaumer die drei Teile, und deren ersten Ein Wiener Diwan. Zur Debatte steht zunächst, was die Öffnung gen Osten für die Wiener Kunst bedeutete. Ein Jahrzehnt, in dem das Schlagwort "Diversität" seine Blüte erlebte, folgte dem wohl entscheidenden Ereignis, der Wende 1989. An selbiges erinnert ein Gemälde Leander Kaisers: In Die Tribüne des Redners (1993) schiebt eine Figur einen symbolträchtigen roten Vorhang zur Seite.

Kunst und Politik

Reizvollerweise ist das Bild abseits seiner politischen Direktheit außerdem ein Spiel mit der Kunstgeschichte: Ein Bildentwurf des russischen Konstruktivisten El Lissitzky wird vom Künstler umgedeutet, dessen strenge Geometrie figürlich belebt. Greifbar wird so jener sich weitende Blick, der die Kunstwelt in den 90ern erfasste: Wiener Künstler wandten sich dem Osten zu, ihre Kollegen von jenseits der Grenze brachten Ideen aus ihren Kulturkreisen mit.

Herbert Brandl: "Ohne Titel (Im Gewühle der Gefühle I)", 1995
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Ja, von einer Wiener Szene zu sprechen sei eigentlich seltsam, sagt Kurator Ecker, denn: Aus 42 Ländern stammen die Künstler, deren Arbeiten seinerzeit ihren Weg in die Sammlung der Stadt fanden. Augenmerk legte man indes darauf, neben bekannten Namen wie Lois Weinberger oder Herbert Brandl auch Positionen zu präsentieren, die weniger etabliert sind – oder es in den 90ern waren. Und wichtig war es den Kuratoren im Übrigen auch, einen gewissen Gender-Gap in der Ankaufspolitik auszugleichen. Von den in den 90ern geförderten Künstlern war nämlich nur ein Drittel weiblich.

Auftritt eines Kunsthundes

Abseits von im engeren Sinne politischer Kunst (darunter auch ein Entwurf für Lawrence Weiners derzeit heftig diskutierten Schriftzug auf dem Flakturm im Wiener Esterházypark) zeigt sich, dass Diversität auch den Umgang mit den verwendeten Medien und Fragestellungen prägte. Ein bildhauerischer Vorstoß in Form einer bemalten Skulptur Elisabeth von Samsonows trifft auf eine wunderschöne Materialstudie Katharina Heinrichs: Was hier auf den ersten Blick wie ein locker hingeworfener, Falten werfender Teppich aussieht, entpuppt sich auf den zweiten Blick als zusammengewoben aus Stahl- und Kautschukbändern – ein sinniges Bild für das Ineinandergreifen stabilisierender und formbarer Kräfte.

Bei einzelnen Arbeiten, insbesondere aus dem Bereich medien- und technologiekritischer Kunst, überwiegt klar der historische Wert, andere vermögen auch im Jahr 2018 noch Reiz auszuüben. Dazu zählt etwa ein Foto aus Peter Dresslers Serie Mit großem Interesse: Der Fotograf lichtete seinen Papphund namens Burschi in diversen Museen ab, kontrastierte auf diese Art "Kultur" und "Natur", schuf ein humorvolles Bild des Verwundertseins. Und wundern, ob über die Kunst oder ganz allgemein, kann man sich bis heute gewiss nicht zu viel. (Roman Gerold, 3.5.2018)

Für seine Serie "Die Sehnsucht der Pinguine" (1988-1992) ging der Künstler und Kinderbuchautor Willy Puchner mit zwei Plastiktieren auf Reisen. Ihren Auftritt haben Joe und Sally im dritten Aufzug der Ausstellung.
Foto: Willy Puchner I Pinguin-Design; anaplus / Bildrecht, Wien, 2018